Samstag, 12. April 2008

Baustile und Baustellen

Morgens auf dem Weg ins Büro komme ich an einer Baustelle vorbei. Man ist mit dem Abriss eines mindestens fünfzehn Jahre alten (!) Mehrfamilienhauses beschäftigt. Vor, zwischen und hinter der Baustelle stehen Männer auf der Straße mit blauen Overalls, gelben Helmen und leuchtenden Jedi-Schwertern, mit denen Sie sämtlichen potentiell störenden Verkehr wegbeamen.

Die Baustelle ist ordentlich und lückenlos mit modularen Bauparavants umstellt. Die Baggerführer tragen weiße Handschuhe und schaufeln mit ihren weißgepunkteten rosaroten Baggern (in Japan übrigens kein eindeutiger Hinweis auf sexuelle Orienierung) das Abrißgut in die bereitstehenden, blitzblank geputzten Chromlaster. Ein Kollege spritzt mit dem Schlauch den ganzen Tag die Straße sauber, damit da auch kein Dreck hinkommt. Nach dem Shintoismus ist die innere und äußere Reinheit ein erstrebenswerter Zustand.

Was wird wohl als nächstes kommen? Die vorwiegend in Japan eingesetzten Baumaterialen sind Kunststoff, Blech, Eternit, Wellblech, Klinker (grau, braun, weiß), Kunststoff, Gipsplatten (grau, braun), Schwemmholz, Gummi sowie verschiedene Kunststoffe. Rost wird als stilbildendes Element eingesetzt. Meist werden jedoch alle Metallteile durchgängig mit Kunststoff beschichtet. Nur die Schrauben läßt man als weiteres stilbildendes Element rausgucken. Hochwertige Wohnhäuser werden in unbehandeltem Beton ausgeführt.

Die Wände der Häuser sind dünn, Fenster und Türen labberig. Fensterläden sind selten. Fenstersimse: Fenstersimse? Bis einer das Gegenteil behauptet behaupte ich, daß Fenstersimse als Baustandard grundsätzlich nur in deutschsprachigen Ländern üblich sind.

Stil: Man kann eigentlich nicht sagen, dass japanische Häuser hässlich sind. Es drückt sich aber eine gewisse ästhetische Hilfslosigkeit aus. Eigentlich möchte ich schon sagen, dass japanische Häuser hässlich sind.

Als verbindendes Stilelement hat man erfolgreich versucht, jedes Haus mit jedem anderen Haus mit möglichst vielen Kabeln zu verbinden. Damit es beim nächsten Erdbeben so richtig zischt.

Letzte Woche hat die Japan Times über Erdbeben-Szenarios der Regierung berichtet. Die Verwaltung prognostiziert, dass bei einem Erbeben der Stärke 6 sehr viele Menschen in Tokio ihre Büros verlassen werden. Man schätzt, dass über einen Zeitraum von 6 Stunden die Menschendichte auf den Straßen der Büroviertel in etwa der eines mittelvollen Vorortzuges entspricht (6 Menschen pro Quadratmeter). Ich habe mich daraufhin entschieden, im Erdbebenfall doch – soweit möglich – in meinem Büro im 37. Stockwerk auszuharren. Einen Helm habe ich – wie jeder andere Mitarbeiter im Büro – im Schreibtisch liegen.

Am Donnerstag ist eine der ca. 20 Haupt-Vorort-Zuglinien wegen Signalstörungen auf der Strecke komplett ausgefallen. Fünf Millionen Menschen kamen mit teilweise stundenlanger Verspätung zur Arbeit. Was machen Japaner, wenn die Bahnlinie ausfällt? Der Bildbeweis in der Zeitung: Eine schwarze Menschenmasse schob sich zu Fuß auf dem Schienenweg in Richtung Innenstadt.