Dienstag, 10. Februar 2009

Im Knöpflesbad (Onsen)

Inzwischen bin ich süchtig. Der erste Besuch in einem japanischen Thermalbad ist gewöhnungsbedürftig: Zuerst zieht man die Schuhe aus und gibt sie in ein Schließfach an der Pforte. Strümpfig stellt man sich anschließend am Empfang vor und lallt „Unsinn“, worauf der diensthabende Japaner eifrig nickt, denn er versteht „Onsen“, und schiebt einem einen Schlüssel für ein zweites, größeres Schließfach im Badebereich, einen Trainningsanzug sowie ein Bade- und ein Handtuch über die Ladentheke.

Nun muß man die chinesischen Schriftzeichen für Mann 男 und Frau 女 kennen und auseinanderhalten. Im Zweifel sieht man sich, nachdem man den mit dem entsprechenden Schriftzeichen emblemierten Vorhang geteilt hat, mit dem ersten Faux Pax konfrontiert – die Badeabteilungen im Onsen sind nach Geschlechtern getrennt (wobei Kinder bis zum Alter von geschätzten fünf Japanerjahren von einem Elternteil oder Onkel mitgenommen werden können).

Der Umkleidebereich ist mit Tatamimatten ausgelegt, und deren subtiler Geruch, das sanfte Laufgefühl sowie die schon hier von den heißen Becken herüberströmende Wärme erzeugt bei den Japanern jenes Wohlgefühl, das sie von früher Kindheit mit allem assoziieren, was sich auf Tatamimatten so abspielt.

Völlig entblößt und nur mit dem kleinen Handtuch bewaffnet machte ich mich an die gründliche Waschung, welche rituell im Sitzen stattfindet: Der Brauseschlauch im Gemeinschaftsduschraum reicht nicht zur Standdusche. Entsetzt starrte ich auf den kleinen Plastikschemel, auf dem man sich hierzu platzieren muß, aber zum Glück hat der in der Mitte der Sitzmulde ein Loch. Stimmung im Waschraum kommt auf, wenn man dem Nebenmann den Schemel unterm Hintern wegzieht. Deshalb geht man am besten mit jemandem ins Onsen, den man gut kennt. Ich hatte meinen Freund A. mitgenommen.

Nachdem ich mich ordentlich eingeseift hatte, duschte ich mich schön ab. Danach seifte ich mich entsprechend dem Ritual ein zweites Mal ordentlich ein und zog meinem Nebenmann den Schemel unter dem Hintern weg. A. hat sehr gelacht.

Endlich konnten wir uns zur heißen Quelle begeben. „Knöpflesbad“ war der Begriff, der sich meinem Freund A. beim ersten Blick in die entkleidete japanische Männerrunde aufdrängte. A. ist Schwabe.

Man läßt sich in eines der vielen Becken gleiten, jeweils für ca. vier bis maximal ein Dutzend Personen vorgesehen, die mit unterschiedlichen Temperaturen, von 40 Grad Celsius aufwärts, aufwarten. Wir entschieden uns zuerst für den heißen Whirlpool und ließen es mal so richtig blubbern.

Anschließend gingen wir ins Außenbecken: Das Außenbecken ist logischerweise das heißeste, und zwar mit vollen 42 Grad, was allerdings auch für das japanische Herz-Kreislauf-System eine gewisse Schmerzgrenze darstellt. Das Außenbecken ist am stimmungsvollsten gestaltet: Halb überdacht mit auf hohen, grob behauenen Baumstämmen ruhenden Holzlatten, umrahmt von scheinbar natürlich angeordneten Findlingen, die der kaiserlichen Kiesgrube alle Ehre machen würden. Nonchalant eingepasste hexagonale Steinstelen vermitteln weitere mineralische Gefühle, und obendrein lugt noch der Mond durch die Zweige der umstehenden Bäume – von einigen Stellen der Anlage ist sogar der heilige Berg Fujiyama zu sehen.

Inzwischen hatten sich die Knöpfle allerseits in Spätzle verwandelt, die von der geschabten Sorte. Wir entschlossen uns, der Entspannung noch eins draufzusetzen und ließen uns, wieder im Innenbereich, ins Liegebad gleiten: In angenehmer Temperatur liegt man auf glattem Stein, der sich im Rückenbereich sanft nach oben wölbt. Das kleine Handtuch, welches im Außenbecken noch zur Warmhaltung des Kopfes nach Manier der japanischen Bauarbeiter um denselben gewickelt wird, dient nun als Kissenbezug für die steinerne Kopfrolle.

In dieser Position kann man es eigentlich stundenlang aushalten, aber irgendwann bekamen wir Lust auf die Abkühlung, es war Zeit für das kalte Becken: Hier zeigt das Thermometer ein bis zwei Striche unterhalb der 20-Grad-Grenze an: kalt genug um einen ins Leben zurückzuholen.

Nach dem Eisbad zeigten sich auch unsere sekundären Geschlechtsmerkmale in quasi komplett eingefahrenem Zustand und wir wussten: Es ist Zeit für das Après-Onsen! Hierzu kleidet man sich in den anfangs ausgehändigten Trainingsanzug (Stil Zeltplatz, Holland) und trifft sich, barfuß watschelnd auf den verschiedenen Etagen, in den Gemeinschaftsbereichen. Im Restaurant liegt man halb, sitzt man halb auf Tatamimatten und bekommt eiskaltes Fassbier in Halbliterkrügen serviert. In verschiedenen Ecken liegen ganze Familien vor dem Fernseher oder spielen Spiele. Ruheräume stehen in verschiedenen Abstufungen zur Verfügung: Vom Fauteuil mit Fußschemel und verstellbarer Rückenlehne bis zur komplett flachen Tatamiliege im halb abgedunkelten Schlafraum. Entspannung pur.

Manche schwärmen auch von der Massage. Bis jetzt habe ich hier in Tokyo drei Versuche gestartet, jedes Mal ein Misserfolg. Man massiert hier grundsätzlich durch die Kleidung hindurch, und wenn eine kleidungsfreie Stelle massiert werden muß, streift der Masseur Handschuhe über. Da fehlt das Feingefühl, und der Behandlungserfolg ist mit dem bei einem deutschen Physiotherapeuten nicht vergleichbar.