Mittwoch, 21. Mai 2008

Hotel Nikko

Das schönste Hotel meines Lebens befindet sich in Tokio. Das Grand Hyatt hier glänzt mit einem durchgängig stimmigen, sehr dezent japanisch angehauchten Stil, der auf jede Protzigkeit - wie zum Beispiel beim Namensvetter in Shanghai oder beim Peninsula in Hong Kong – verzichtet. Die Restaurants und Bars sind weltklasse – großzügig und anheimelnd zugleich, der Service makellos und doch entspannt, das Essen vorzüglich (der „Executive Chef“-koch heißt Josef Budde und wird auch in der Lufthansa Business Class gefeatured). Die Wohlfühlzimmer in natürlichen Erdfarben haben ebenfalls einen japanischen Stil: Rechteckige schlichte Hölzer, Leinen, hellbrauner Naturstein im Bad. Das Waschbecken aus Glas. Unter der Dschungelbrause nicht der übliche Ausguß, sonder ein seitlich abgehender Wasserfall. Alles paßt sich ins andere ein: Die Toilettentüre in die Wand, das Holzkästchen mit der Teeauswahl in die Schublade, und so richtig satte Matratzen lassen einen schlafen wie ein Murmeltier. Patty, Fritz und ich haben dort vor dem Einzug in unser Tokioter Haus in zwei geräumigen Zimmern zwei angenehme Nächte verbracht.

Das schrecklichste Hotel meines Lebens befindet sich in Nikko, berühmte Tempelstadt mit den drei ebenso berühmten Affen. Wir (Patty, die zwei Jungs - Adrian war auf Besuch da – und ich) hatten übers Internet gebucht und alles sah recht gut aus: Ein moderner Ryokan (traditioneller japanischer Gasthof) mitten im großen Park, die wilden Affen rasen durch den Wald, ein Onsen im Freien: Was will man mehr. Nach unserer akzeptablen Erfahrung in Kyoto im Herbst hatten wir auch gleich das Essen auf dem Zimmer mitbestellt. Das Schönste: Die würden uns vom Bahnhof abholen.

Der erste Eindruck von Nikko war nicht so grandios. Gut, wir waren also in drei Stunden mit sechs Zügen 80 Kilometer durch häßliche Landschaft von Tokyo gekommen (hätten doch den Mietwagen nehmen sollen!). Und nach einiger Wartezeit am Bahnhof kommt tatsächlich ein achtzigjähriger mit einem unwesentlich jüngeren klapprigen Kleinbus mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Auf der Fahrt durchs Straßendorf murmelt der zahnlose Geselle Unverständliches über irgendwelche Sehenswürdigkeiten, die nicht direkt ins Auge fallen. Nach unserem ersten, unvoreingenommenen Eindruck könnte man die Stadt im Rahmen einer touristischen Verschönerungskampagne komplett einreißen.

Beim Betreten des ausgestorbenen, etwas sehr lieblos runtergekommenen Hotels wird mir schon schlecht: Ein penetranter Geruch von „wenn man im Schlafzimmer japanisch kocht“ durchsetzt Lobby, Flure und Treppenhaus. Der Alte macht sich schnell aus dem Staube, ihm ist wahrscheinlich auch schlecht geworden. Abends: Zum Glück wird das Essen in einem freien Schlafzimmer serviert - und nicht im Elternschlafzimmer oder dem der Jungs.

Das Essen: Nabe. Nabe ist eine Augenweide, das übliche japanische Sammelsurium an Farbenfreude, kleine Schälchen, roher Fisch hier und rohes Fleisch da, eingelegte Gemüse mit dem Geschmack von eingelegtem Radiergummi, Miso-Suppe aus fermentiertem Soja und ein Schüsselchen Reis. Dazu grüner Tee (warm), schmeckt wie Zigarrenasche (kalt). Der Witz bei Nabe: Man kann einzelne Eß-Komponenten in einer mitgelieferten blubbernden Sojamilch (!) garen. Nachdem ich hiervon den Deckel lupfte, wußte ich auch, woher der Gestank im ganzen Hause kam. Ich versuchte mein Glück trotzdem, konnte mich aber nicht überwinden, meine Zähne in das hierin zur Verwesung gegarte Fleisch zu setzen. Gottseidank war der Kombini („Convenienc Store“) mit preiswerter Schokolade und Bier nicht weit entfernt. – Um ein Haar hätte ich noch in der kleinen, aus den frühen sechziger Jahren und einem volkseigenen Betrieb stammenden Naßzelle über die Kloschuhe gekotzt.

Als wir dann bei Tageslicht das Hotelgelände begehen, trauen wir unseren Augen nicht: Ein aufgegebener Trakt mit blinden Scheiben nebenan, verfaulte Matratzen liegen vor den Fenstern der bewohnten Eigentümerwohnung, eine rostige Müllhalde neben der anderen. Der ehemals schön angelegte Shintoschreingarten überwuchert, verwahrlost. Von einem vor Jahren umgestürzten, auf dem Hoteldach ruhenden Baum hat man einfach die langen Äste abgesägt, damit man drunter durchfahren kann.

Der zweite Eindruck von Nikko war auch nicht so berauschend.

Beim Abschied überreicht uns die nette junge Wirtsfrau im farbenfrohen Kimono handgefaltete, farbenfrohe Origami-Schächtelchen, eins für jeden.
- Haben Sie die etwa selbst gefaltet?
- Ja, ich sitze den ganzen Tag hier an der Rezeption und falte Schächtelchen
Darauf fällt mir nur eine Replik ein,
- Ach ja, warum räumen Sie nicht mal Ihren Müllplatz da draußen auf? Oder schaffen den Baum vom Dach runter? Oder streichen die Wände in Ihren heruntergekommenen, versifften Zimmern, rollen die Futons zusammen und stecken sie sich zusammen mit Ihren blöden Schächtelchen sonstwohin? Aber sie nehmen wohl die selbe Droge wie diese drei Affen da draußen im Tempel, die nichts sehen, nichts hören und NICHTS RIECHEN!!!),
…die ich jedoch auf japanisch leider nicht hundertprozentig und ohne Stocken formulieren kann. Außerdem versuche ich ja immer, als Ausländer einen guten Eindruck in meinem Gastland zu hinterlassen und die Leute so wenig wie möglich am Kimono zu packen und durchzuschütteln.
Ich verneige mich also stattdessen mit einem freundlichen Lächeln und bedanke mich höflich, leicht säuselnd wegen der zugehaltenen Nase. Zum Glück hatten wir die zweite Nacht schon vorher aus Kostengründen (80 EURO pro Nacht und Nase!) storniert….

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Heute morgen auf dem Weg zur Arbeit im Zug: Eine kleine Überraschung und Aufregung. Wir durchfahren das Studentenviertel Gakugei Daigaku („Studiere Kunst Große Schule“ = Kunstakademie). Ein paar Studenten haben sich einen Spaß gemacht und inszenieren auf dem Flachdach eines neben den Bahngleisen liegenden Hochhauses, direkt vor unseren Augen und zum Greifen nah (der Verkehr in Tokio findet auf verschiedenen Ebenen statt: Unser Zug fährt ganz oben) eine Zirkusclownerie: Eine Ballerina, ein Jongleur auf Einrad sowie ein Supermann mit Propellerhelm, der auf einer Schaukel schwingt, winken und lachen dem vorbeifahrenden Pendlerzug zu. Einer der mit dem Gesicht an die Scheibe gequetschten Fahrgäste verliert die Fassung und gibt einen kurzen, schrillen Lacher von sich. Der Rest im Waggon verharrt mit eisiger Miene in ebensolchem Schweigen. Keiner will am nächsten Bahnhof abgeführt werden…

Ich erhole mich in einem kleinen Restaurant und tue mich an einem eingelegten Radiergummi gütlich. Dazu trinke ich einen Tee aus aufgebrühter Zigarrenasche. Das beruhigt.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Der Laden um die Ecke hat allerlei...

Im Land der aufgehenden Tonne

Gleichzeitig mit dem Erreichen des Rekordpreise von 120 USD für die Tonne Rohöl hat Japan Anfang des Monats die Zusatz-Mineralölsteuer aus den siebziger Jahren abgeschafft – das Gesetz lief einfach aus, und die Opposition hat sich vehement gegen eine Verlängerung gestemmt. Kostete der Liter Superbenzin bisher 1.00 Euro, so sind es jetzt nur noch 80 Cent. Der Liter Diesel wird z. Zt. für 65 Cent verkauft. Allerdings will die regierende liberale Partei die Zusatzsteuer am Wochenende wieder einführen und ist dabei, diese Maßnahme „durch das Parlament zu peitschen“ (wie das in der Japan Times immer so nett heißt). Dann kostet der Liter Super wieder einen Euro. Alle horten, nur ich nicht: Wenn ich zur Tankstelle fahre und meinen 200-kilo Motorschlitten betanke, kriege ich von meiner 1000 Yen-Note (6 EUR) immer noch jede Menge Wechselgeld raus.

Überhaupt ist Japan weder besonders teuer noch besonders umweltbewußt. Die Steuerlast hält sich in Grenzen: Die individuelle Einkommensteuer kann – ähnlich wie in Deutschland – bis zu 40 % betragen. Aber die Japaner haben den Soli schon abgeschafft, und in meinem ersten Halbjahr hier lag mein persönlicher Einkommensteuersatz bei 20 % (nationale und lokale Steuer zusammen). Steuern auf Zinseinkuenfte belaufen sich auf 20%, auf Dividenden und Spekulationsgewinne fallen lediglich 10%an. Zusätzlich kann man sich mit verschiedenen Steuersparmodellen den Durchschnittssteuersatz weiter runtermischen: Die Mietkosten der Wohnimmobilie beispielsweise kann der Arbeitnehmer gehaltsmindernd durch die Firma zahlen lassen und entrichtet nur 6,5% Steuern auf den geldwerten Vorteil. Das Beste jedoch: Die Mehrwertsteuer beträgt nur 5 %!

Ähnlich wie die amerikanische Wirtschaft ist auch die japanische in erster Linie eine Binnenwirtschaft: Der Exportanteil am Bruttosozialprodukt beträgt lediglich 20 – 25 %; bei Deutschland sind das 40 – 45 % (klar – sonst wäre Deutschland ja auch nicht Exportweltmeister). Im Endeffekt sind hier viele lokal produzierte Waren aufgrund des riesigen, homogenen Binnenmarktes extrem billig: So kostet ein ordentlicher Regenschirm 3 EUR; Staubsaugerbeutel sind für wenige Cent zu haben (nicht wie bei Miele in Deutschland: 5 Stück für 20 Euro), ein einfaches Fahrrad japanischer Provenienz geht für 60 Euro über den Ladentisch. Ein nagelneues Luxuscabriolet oder ein Luxusvan, jeweils mit Ledersitzen und 3,5-Liter-V6-Motor, ist für einen Golf-Freundschaftspreis von EUR 30.000 zu erstehen. Wie gesagt, Umsatzsteuer nur 5 %.

Die Arbeitslosenquote beträgt 3,8%. Die Personalzusatzkosten liegen bei ca. 14% (Deutschland: 20%, was immer noch sehr gering ist im Vergleich zu den französischen 70% - ohne Beitragsbemessungsgrenze!). Allerdings liegt dafür die staatliche Durchschnittsrente in Japan bei lediglich 500 Euro pro Monat (Deutschland: 1.000). Der fleißige Japaner muß eben noch zusätzlich was zur Seite legen.

Am liebsten baut sich der Japaner von seinem Ersparten eine zugige Bretterbude und reißt sie nach einigen Jahren wieder ein. Oder er lässt sein Geld in den guten Restaurants in Tokio; die wiederum reißen spätestens nach fünf Jahren ihre Avantgarde-Inneneinrichtung wieder raus – ab in die Tonne – und installieren ein komplett neues Dekor.

Gerne lebt der Japaner auch sein Faible für deutsche Produkte aus: Die Marken des Exportweltmeisters sind überall präsent, und dafür wird gerne gutes Geld ausgegeben. Wer sich einen Mercedes leisten kann, kauft sich gerne noch einen zweiten. Porsche, BMW, Audi, aber auch VW sind hier Kultmarken: Ein Gebrauchtwagenhändler um die Ecke hat laufend eine Auswahl an VW 1500ern aus den sechziger Jahren, Variant und Stufenheck, und dazu noch eine ganze Latte Karmann-Ghias. Im Haus muß ist die Kaffeemaschine von Braun sein, die Badezimmerarmaturen sind von Grohe, und wer auf sich hält hat auch die Waschmaschine und den Trockner von Miele. Gern zieht man sich auch den Parka mit der deutschen Flagge am Arm an.

Neulich abends im Restaurant sitzen zwei japanische Studentinnen am Nebentisch, offensichtlich unternehmungslustig und gesprächsbereit. Schüchtern wende ich das Wort an sie:
- Na, wo kommt Ihr denn her, Ihr Süßen?
- Aus Osaka! Und Du?
- Aus Frankfurt.
- Geil! Mercedes!