Dienstag, 26. Mai 2009

Beim Großmarkt

Einkaufen in Japan ist meist ein angenehmes Erlebnis. Der Kunde wird mit lautem Hallo begrüßt und willkommen geheißen, er wird hofiert und umschmeichelt, die Kaufentscheidung löst Danksagungen und Verbeugungen aus. Zur Sicherheit werden an der Kasse noch einmal alle Unklarheiten beseitigt: Dies ist ein Hemd, und Sie wollen es wirklich kaufen? Beim erstehen mehrerer Artikel werden die Preise einzeln laut und klar angesagt. Das Geld wird wie eine Opfergabe mit offenen Handflächen demutsvoll entgegengenommen, das Rausgeld bekommt man direkt vor die Nase aufgefächert, jeder Schein wird nochmal einzeln mit dem Finger angeschnippst.

Die Ware wird natürlich nicht über den Ladentisch gereicht: Die Verkäuferin oder der Verkäufer bedeuten Dir mit einem freundlichen Lächeln und einer demutsvolllen Geste, Dich in Richtung Ausgang zu bewegen. Gemessenen Schrittes wirst Du zur Ladentür begleitet; erst an dieser Schnittstelle zwischen dem Reich des Gastes und der schnöden Außenwelt wird Dir das Erstandene mit einer weiteren Verbeugung, einem freundlichen Lächeln, einem Dankeschön und den besten Wünschen für das weitere Leben ausgehändigt.

In unserer näheren Umgebung haben wir alles was wir brauchen: Direkt vor der Haustür eine alte Bretterbude mit dem Nötigsten (Bier, Chips, Schokolade), etwas weiter weg den „kombini“, den klassischen amerikanischen „convenience store“, und fußläufig in 10 bis 15 Minuten zu erreichen zwei komplette Stadtteilzentren mit ALLEM. Das nette dabei ist, daß es in Japan viele kleine familiengeführte Geschäfte wie Gemüseläden, Schreibwarengeschäfte, Eisenwarenhandlungen usw. gibt wie im Deutschland der fünfziger Jahre. Schon seit vier Wochen nach unserer Ankunft in Japan werden wir in der Reinigung grundsätzlich mit Namen angesprochen, und Patty hat feste Verhältnisse mit dem Gemüsehändler und der alten Dame aus dem Schreibwarengeschäft, während ich gerne mit meinem Schneider, der hervorragende Anzüge anfertigt, einen trinken gehe. Die großen Einkäufe erledige ich mit meinem Megaroller, der einen beachtlichen Kofferraum hat, oder wir lassen frei Haus liefern…

Da wir nach dem Kurzurlaub unseren Leihwagen noch einen Tag länger hatten entschlossen wir uns, den Empfehlungen unserer „autorisierten“ Freunde zu folgen und zum Großmarkt zu fahren: Das ist wie der deutsche Real oder Wertkauf, hier kriegst Du alles, und viel billiger. Ich tippte die Telefonnummer des Ladens ins Navigationsgerät und wir brausten los.

Nach einer halben Stunde zügiger Fahrt und zehn Euro Autobahngebühren kamen erste Zweifel auf: Der Laden sollte doch in Kawasaki sein, nur zwanzig Minuten weit, und jetzt sind wir schon auf der anderen Seite von Yokohama! Wir folgten dem Navi von der Schnellstrasse runter, tankten und kamen schließlich in der Seitenstrasse eines kleinen Stadtzentrums zum stehen: Nach Großmarkt sah das nicht aus. Ich holte das Handy raus und wählte die Nummer:

- Toll, Sie sprechen English! Wir sind in Dingsda, sind wir hier richtig?
- Ja, eh, ein bisschen schon, wir sind nur drei Kilometer Luftlinie von hier!

Drei Kilometer Luftlinie bedeutet in Japan ca. vier Schnellstrassen mit mindestens sechs Megakreuzungen, acht Tunnels, 23 Bahnübergängen und rund zwei Millionen Menschen. Mit Fingerspitzengefühl tasteten wir uns an den Bordsteinen entlang; nach zweimal Anhalten und Fragen, einmal Umkehren in der Einbahnstrasse und einem umgenagelten Tankwart fanden wir uns auf dem Parkdeck eines riesigen Betonklotzes in Hafennähe wieder.

Als wir uns auf breiten Trassen den Weg ins Erdgeschoss bahnten, waren wir gefühlsmäßig irgendwo zwischen Bochum, Izmir und New Jersey angekommen. Großfamilien mit fetten Kindern, Einkaufswagen von der Größe eines Kleinlasters, darauf gestapelt riesige Pizzakartons, die nach Verzehr noch Verwendung als Raumteiler im japanischen Trockenbau finden.

Vor den Regalen wurden wir von resoluten Damen abgefangen, die unseren Ausweis sehen wollten. Ausweis? Erst jetzt entdeckten wir die großen Schilder: Heute ist ihr Glückstag, zwölfmonatige Mitgliedschaft beim Großmarkt für nur 50 EURO!

Halbbenommen und Unwissenheit vortäuschend bahnte ich mir den Weg zum Informationsschalter und fragte einen der Diensthabenden, der wie viele Japaner aussah wie Rex Gildo:
- Wir kommen hier extra aus Tokio um bei Ihnen einzukaufen. Geht das nicht?
- Ja!
- Ah so……Also, was meinen Sie jetzt, geht es oder geht es nicht?
- Ja!
- Wie bitte?
- So desu (tralalla)!
Angewidert von der nervenden Umgebung, im Geiste schon die Negativbilanz an verschwendeter Zeit und Autobahngebühren aufgemacht, wandten wir uns ab, um unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren. Auch noch Eintrittsgebuehr! Das ist ja wohl das Letzte!! - Beim Umdrehen vernahm ich ein deutliches „Hossa“.

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Am nächsten Samstag gehen wir wieder entspannt in den netten Supermarkt in Tokio um gepflegt ein paar Flaschen Wein zu kaufen. An der Kasse bitten wir, man möge doch ein Taxi rufen. Daraufhin bietet sich der Filialleiter persönlich an, uns nach Hause zu fahren. „Ach, da komm’ ich doch glatt mit, weil ich besser Englisch spreche“ bietet sich die nette kleine Kassiererin zusätzlich noch an. Patty wird sauer: „Und ich soll hier bleiben während Sie Flittchen mit meinem Mann nach Hause fahren? „Nein, nein, Sie kommen natürlich mit, wir haben ja Platz für vier im Wagen!“

Auf der Fahrt unterhalten wir uns nett mit der Kassiererin über Ihr Jahr als Austauschschülerin in den USA, während uns der Filialleiter umsichtig nach Hause chauffiert. Bei der Ankunft sind die beiden beim Ausladen behilflich. Als Abschied die Aufforderung: „Rufen Sie uns doch bitte an, wenn Sie das nächste Mal einkaufen wollen; wir holen Sie auch gerne ab!“