Samstag, 29. November 2008

Ginko – guck mal wer da bei der Bank vorspricht

Ginko ist japanisch und heißt Bank. Gestern nachmittag um 15:20 Uhr schlenze ich mal wieder durch die Gänge von Roppongi Hills in Richtung Ginko. Im Hintergrund plätschert Carla Bruni aus allen Lautsprechern. Mit einem großen weißen Zettel in der Hand kurve ich an den vier Geldautomaten und dem Uniformierten der Shei-sen Bank vorbei in den Schalterbereich. Zu viert stürzen sich die netten jungen Damen auf mich nach dem Motto: Na, womit können wir Dir heute wieder Deinen Tag versüßen? Die Filialleiterin wartet an der Seite, um im Notfall einzuspringen.

- Ich möchte gerne 300.000 Yen überweisen, an den Zahnarzt meiner Frau. Die hat nämlich eine Spange gekriegt.
- Wohnt der Zahnarzt in Japan?
- Ja!
- Aha, eine Inlandszahlung. Da haben Sie leider Pech! Inlandszahlungen werden nur bis 14:30 Uhr angenommen! Haben Sie denn die Geheimkarte mit der Zahlentabelle?
- Nein, hab ich nicht. Aber guckt mal, hier ist meine Automatenkarte, und den Geheimcode weiß ich auch! (triumphierend)
- Tut uns leid, geht nicht. Nur mit der Geheimkarte können Sie Internetzahlungen machen
- Ich will gar keine Internetzahlung machen. Ich gebe lieber hier bei Euch meinen Zahlungsauftrag persönlich ab, das geht viel schneller. Und ihr seid immer so nett. Kann ich den Auftrag denn nicht heute nachmittag schon für morgen abgeben?
- Nein. Nur bis 14:30 Uhr. (Und dann im Chor) Tuut uns ja sooo leeeiiid! Aber zeigen Sie mal her. Ist der Name des Zahnarztes in der Silbenschrift Katakana geschrieben?
- Der Name der Praxis steht in der Silbenschrift Katakana drauf, der Name des Zahnarztes sogar in der Symbolschrift Kanji! (auftrumpfend)
- Das geht leider nicht! Wir brauchen auch den Namen des Zahnarztes in der Silbenschrift Katakana!
- Ja was denn, das könnt Ihr doch nicht machen! Der Name der Bank ist in der Symbolschrift Kanji, die Filiale in Kanji, die Kontobezeichnung in Kanji, das ist doch verdammt noch mal Eure nationale Schrift (die ich auch nicht ansatzweise lesen kann), wieso muß dann der Name des Empfängers jetzt ausgerechnet in der Silbenschrift Katakana dastehen???
- (Im Chor) Tuut uns ja sooo leeeiiid!

Die Filialleiterin gesellt sich hinzu und nickt zustimmend. Ich gebe klein bei:
- Also gut, dann ruf ich jetzt meine Frau an, und die ruft den Zahnarzt an und fragt ihn, ob sein Name unbedingt draufstehen muß und wie er ihn in der Silbenschrift Katakana schreibt, und morgen komme ich wieder!
- OK, und nicht vergessen: Vor 14:30 Uhr!
- Also, alles klar Ihr Lieben. Bis morgen dann! Tschüß!
- Halt, Entschuldigung, kommen Sie doch bitte noch mal her!
- Was ist jetzt noch?
- Also, Entschuldigung, aber der Name des Zahnarztes, ja?
- Ja?
- Können Sie den bitte freundlicherweise in der Silbenschrift Katakana schreiben?
- ???

Ich verneige mich ohne weitere Gegenrede vor den vier grinsenden jungen Damen, dann vor der Filialleiterin, und erwidere auch noch – mit der mir inzwischen erwachsenen asiatischen Seelenruhe – den Gruß des vor den vier Geldautomaten postierten Blauuniformierten mit der schicken Schirmmütze.

Nach einem Jahr kenne ich die meisten der Zeichen der Silbenschrift Katakana – das sind ja nur 46. Im Gegensatz dazu hat die Symbolschrift Kanji, die japanische Variante der chinesischen Schrift, bis zu 80.000 Zeichen. Knapp 2.000 davon muß jeder japanische Schüler im Laufe eines harten Schülerlebens erlernen. Das Entziffern eines Kanji-Zeichens, welches bis zu sechs verschiedene Aussprachen und – je nach Zusammenhang – bis zu 60 verschiedene Bedeutungen haben kann, entspricht im geistigen Anspruch mindestens der Lösung einer Denksportaufgabe im hessischen Mathematik-Abitur.

Sie Silbenschrift Katakana ist aber noch machbar, und von der auf der Rechnung stehenden lateinischen Umschreibung leite ich den Namen des Zahnarztes in diese Silbenschrift um. Mit meinem Gekrakel mache ich mich am nächsten Tag auf den Weg zur Shei-sen Bank.

Die junge Kollegin mit den guten Englischkenntnissen ist wieder da.
- Hallo, haben Sie den Namen des Zahnarztes auch in Katakana geschrieben?

Stolz zeige ich ihr meinen Zettel mit dem Gekrakel.
- Gut, dann füllen Sie bitte dieses Überweisungsformular aus. Und: Geben Sie uns bitte Ihre Telefonnummer? Wenn irgend etwas nicht klappt, werden wir Sie anrufen!
- Sie können mich jederzeit anrufen, auch wenn alles klappt!
- Sie Schelm! Bitte geben Sie mir noch die Rechnung des Zahnarztes und den Zettel mit Ihrem Gekrakel.
- Wieso?
- Darf ich den Zettel Kopieren? Falls etwas mit der Zahlung schiefgeht….