Mittwoch, 19. Dezember 2007

Kaminoge - Unsere kleine Bahnstation

Weihnachten in Shibuya

Roppongi Hills

Weihnachtsmarkt

Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, im öffentlichen Raum aus Höflichkeit jemandem eine Tür offen zu halten. Man steht dann da den Rest des Tages – der Menschenstrom versiegt nicht.

Der neue japanische Justizminister hat die Hinrichtungsstätten der staatlichen Gefängnisse besichtigt. Er meinte, der Tod durch den Strang, welches die normale, laufend praktizierte Form der Hinrichtung in diesem Land ist, sei nicht „friedlich“ genug. Er wolle sich dafür einsetzen, dass in Zukunft friedlichere Hinrichtungsformen praktiziert würden.

In der U-Bahn heute wieder die übliche Geruchsmischung aus grünem Tee, sauren Gurken und Kuhstall, mit einem Hauch von Mottenkugeln. Die Japaner weigern sich beharrlich, irgendwelche Parfums oder After-shaves aufzutragen. Diese Gerüche sind Ihnen unangenehm. Schon wenn sie am internationalen Flughafen Narita ankommen beklagen sie sich schon: Igitt, hier riecht’s nach Europäern….!“

Ein weiterer, sehr starker Kontrast zur westlichen Welt: Die Japaner strecken nicht selbstbewusst die Brust oder das Kinn raus wie der Amerikaner, oder bewahren zumindest das, was in Europa gemeinhin als „Contenance“ bekannt ist. Nein, der Japaner lässt sich einfach sacken. In gebückter Körperhaltung schleicht er an Dir im Büro vorbei, ohne zu grüßen. Wenn es kalt ist, zieht er sich die vergammeltste Mütze über die Stirn und lässt sie nach hinten über die Schulter lappen (was glaubt Ihr, wo die Hip-Hop Mode erfunden wurde?). Wenn er erkältet ist, zieht er sich einen Atemschutz über Mund und Nase und nimmt das Ding auch nicht ab, wenn er mit Dir redet. Zuletzt gesehen an einem Weihnachtsmann in Roppongi mit Weißer Perücke. Bescheuerter geht’s nicht. Und die Japanerin? Der Rock kurz bis zum Schritt, darüber baumelt eine leichte Schürze, in Europa nur auf Waffenschein (schwerste Gattung) erhältlich, und dann schlurft, strunzt und dackelt sie mit aneinandergeklemmten Knien durch die Designerläden als hätte sie ein Inkontinenzproblem. In der U-Bahn dann sacken Männlein und Weiblein, unabhängig vom modischen Outfit, komplett in sich zusammen nach dem Motto: Jede Minute Schlaf zählt! Man läuft durchs Büro, plötzlich ratzt da einer voll nach vorne über den Schreibtisch gekippt, den Kopf zwischen den gefalteten Armen begraben. Völlig normal, erst heute wieder gesehen. Mittagsschlaf.

Nach vier Monaten komme ich mir vor wie ein Eindringling in dieser Welt. Ich sehe nicht aus wie sie, ich rieche nicht wie sie, ich esse nicht wie sie und ich spreche Ihre Sprache nicht. Peinlich: Ich habe überhaupt kein Japanisch gelernt, außer ein paar Grußformeln, deren ständig wiederholte Äußerungen – aufgrund meiner nicht vorhandenen Alternativen – mir inzwischen selbst peinlich geworden sind, so dass ich meistens gleich Englisch rede. Und die Erkenntnis, dass selbst bei größter Anstrengung die mir verbliebenen Gehirnzellen und die mir verbleibenden Lebensjahre nicht ausreichen würden, um dieses Sprachmonstrum auch nur annähernd zu meistern. Die drei Fachprüfungen im japanischen Bank- und Börsenwesen, die ich inzwischen ableisten durfte, habe ich auf Englisch gemacht. Welches Recht habe ich, mich über diese guten Leute lustig zu machen???

Vor unserem Bürogebäude – Mori-Tower in Roppongi Hills – hat man einen Weihnachtsmarkt nach deutschem Vorbild aufgestellt. In Bretterbuden wird Franziskaner-Weißbier ausgeschenkt und Currywurst verkauft, daneben, beim „Badenser“, gibt es Schupfnudeln mit Sauerkraut. Überall Räuchermännchen aus dem Erzgebirge. Am letzten Stand dann– heißer Frankfurter Apfelglühwein, vom Possmann.

Dienstag, 4. Dezember 2007

Es weihnachtet in Tokyo

Letzte Woche waren wir mal wieder im Cavern Club. Ist ja nur 5 Minuten vom Büro, und außerdem war George Harrisons Todestag. Mabu und Genossen hatten einen befreundeten Sitar- und einen Tablaspieler eingeladen, und die waren auch ganz talentiert, haben schön die Harrison-Sitar-Stücke von Revolver, Rubber Soul und St. Pepper’s gespielt und ein bisschen Ulk mit dem Publikum getrieben.

Dann Pause. Fast eine Stunde. Na gut, über die Stereoanlage heute statt Beatlesmusik Harrsion-Cover-Versionen, und dann auch seine Aufnahmen als Bandmitglied der „Travelling Wilburys“ (mit Bob Dylon, Jeff Lynne, Roy Orbison und Tom Petty) Patty sagt: Kuck’ mal, vielleicht spielen die heute gar nicht, da vorne läuft Mubacho (John Lennon) im Flannelhemd rum, die tragen ja gar keine Beatles-Outfits…

Und plötzlich stehen die Travelling Wilburys auf der Bühne: Naganuma (Paul McCartney) als Bob Dylan, schick mit Japanerhütchen, und Kabe (normalerweise George Harrison) als Roy Orbison (weißes Perlmutthemd und zurückgegeltes Haar). Dazu noch der Keyboarder aus der John Lennon-Session (einsfünfundneunzig großer Hüne mit langem Haar und Sonnenbrille: Die Japaner sind auch nicht mehr so klein wie sie mal waren), sowie ein zweiter Lead-Gitarrist im schwarzen Ninja-Outfit.

Mabuchi (John Lennon) wie immer in bester Spiellaune, klampft schon beim Fade-out der CD mit, singt heute die Stimme von Roy Orbison. Und wie. Ich kann’s nicht fassen. While my guitar gently weeps: Beide Leadgitarristen spielen ein jeweils geiles Solo, der Ninja-Typ beherrscht die Gitarre als wär es ein Körperteil, und steigern sich dann im vom Schlagzeuger Kabe (Ringe, heute mit besonders viel Drive) getriebenen Accelerando in ein wahnsinns-Doppelsolo rein. Wir sitzen da und kriegen den Mund nicht zu. Und die klotzen ein Stück nach dem anderen der Travelling Wilburys raus, als hätten sie die letzten 10 Jahre nichts anderes gemacht. Dabei spielen sie vier- bis fünfmal die Woche „nur“ Beatles-Lieder. Vollblutmusiker: Mabuchi stimmt auch mal während des Spiels seine Gitarre nach, oder setzt mal zwei Takte aus, zieht ein Capodastro auf und spielt das Stück mit neuer Griff-Folge weiter: Vollprofis. Ein ketzerischer Gedanke taucht auf: Die Beatles können gar nicht so gut gewesen sein wie diese Typen!

Erstaunlich, was diese Metropolis in ihren besten Momenten zusammenkocht! Für mich haben sich die vier Monate Japan allein schon durch den viermaligen Besuch dieses Clubs mit den „Silver Beats“ gelohnt.

Die spielen übrigens auch am 24.12. (Kaisers Geburtstag in Japan).

http://www.silverbeats.com/profile.html
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Am Samstag dann großer Weihnachtsmarkt der Kreuzkirche. Die Kreuzkirche ist unsere Kirchengemeinde (ja, wir gehen regelmäßig in die Kirche. Und zwingen Fritz zur Konfirmation) und gleichzeitig einer der Knotenpunkte der deutschen Diaspora (und ihrer japanischen Fangemeinde). Dort wurden mindestens 50 Adventskränze verkauft (teilweise von Patty geflochten, und teilweise von ihr gekauft), 250 Liter Glühwein und mindestens fünfhundert Bratwürste. Seit Monaten wurden von den Angestellten deutscher Firmen rauhe Mengen an Lebkuchen importiert und hier jetzt für teures Geld an den Mann gebracht. Das Ganze bei strahlendem Sonnenschein – denn im Dezember bricht der japanische Herbst zu vollem Glanz aus – für den Abend hatten wir Glühbirnen in die Äste gehängt. Die Blätter der Ahorn- und Ginkobäume erreichen Ende November ihre tiefste Färbung, und bei 20 Grad im Schatten kann man’s auch in der Sonne gut aushalten.

Die Kirche ist eine Bretterbude mit Fenstern aus Reispapier, und die Veranstaltung findet in erster Linie zur Finanzierung stabilisierender Baumaßnahmen, des Pfarrhaushalts und einer angedachten neuen Orgel statt. Es war ein sehr gelungenes Fest.