Mittwoch, 16. September 2009

Im Land der aufgehenden Tonne - Teil II

Die Japaner haben im allgemeinen keine Berührungsängste mit Kunststoff jeglicher Art. So hat die nationale Fluggesellschaft JAL kürzlich beschlossen, auf ihren internationalen Flügen Wein aus Plastikflaschen auszuschenken statt aus Glasflaschen. Dies spart Gewicht und reduziert damit den CO2- Ausstoß. Das Kyoto-Protokoll wird doch sehr ernst genommen.

Müllverbrennungsanlagen sind hierzulande auch umweltschonend meist mitten im Wald angelegt – so wird die Bevölkerung an ihren gewöhnlichen Aufenthaltsorten weder optisch noch olfaktorisch belästigt. Und Müll wird hier jede Menge produziert.

Zum einen ist das in dem schon brutal zu nennenden Verpackungswahn begründet. Um die durch die Geburt in diese Inselwelt begründete, „giri“ genannte Erbschuld zu sühnen, ist der Durchschnittsjapaner im Schnitt ein Drittel seiner Wachzeit damit beschäftigt, meist standardisierte Geschenkobjekte wie Seifen, Handtücher und Süßspeisen aus Bohnenpaste (iigghh) in Kartons zu packen und akkurat mit mehreren schichten edlen Papiers zu umwickeln, am besten handgeschöpft.

In zwei Jahren in Japan habe ich nicht einmal einen unverpackten Zuckerwürfel – meist in der Plastikhülle zum Aufreißen – gesehen. Wenn ich mir im „Kombini“ eine Banane hole, so ist die einzeln in festem Zellophan verpackt mit einem Verschluß, der ohne scharfes Werkzeug nicht zu öffnen ist. An der Kasse wird dieses verhüllte Objekt dann in eine weitere Plastiktüte gegeben. Allerdings steht dort auch immer ein kleiner Behälter bereit - für die Aufnahme des Kassenbons, um das Papier der stofflichen Wiederverwertung zuführen zu können. Die Entscheidung liegt beim Kunden, ob er diesen Beitrag zum Umweltschutz leisten will.

Einen besonders erfreulichen Beitrag zum Umweltschutz qua Materialersparnis leistete im Sommer hingegen die japanische Finalistin für den „Miss Universe“-Wettbewerb, Miss Miyasaka, auf Ihrer Entsendungsveranstaltung. Ihr Kimono-inspiriertes Kostüm endete zwar unterhalb der Gürtellinie, aber doch sehr deutlich oberhalb des Schritts. Statt sie ob Ihres Umweltbewusstseins zu loben zitierte die Japan Times „einige“, welche das Kostüm als krass und schlampenhaft bezeichneten. Miss Miyasaka tröstete sich im Flieger mit einem Schluck Weins aus der Plastikflasche.

Freitag, 17. Juli 2009

Unterhosen

Irgendwann kommst Du an dem Punkt in Deinem Leben, wo Du Unterhosen als Beengung empfindest. Der Japaner erreicht diesen Punkt ziemlich früh im Leben. Und dann wieder jeden Tag. Bei dem einen Typ der japanischen Ehe (es gibt da verschiedene Varianten), wo der Mann noch jeden Abend nach Hause kommt, empfängt Ihn die Frau mit geöffneten Armen, in denen sie eine Yukata, einen leichten Sommerkimono aus Baumwolle, ausgebreitet hält. Der Mann entledigt sich sämtlicher Kleidungsstücke und schlupft in das weiche Tuch. Seine Frau hat zu Hause den ganzen Tag sowieso nichts anderes getragen.

Es gibt Menschen die behaupten, im japanischen gäbe es kein Wort für Liebe. Dies sind dieselben Menschen die auch behaupten das Wort „Nein“ existiere in dieser Sprache nicht und die Japaner seien alle angepasste emotionslose Psychopathen, die sich nicht getrauen Ihre Gefühle zu zeigen oder Ihre Meinung zum Besten zu geben. Weit gefehlt. Die Japaner können sehr wohl nein sagen. Meistens kreuzen Sie einen dabei noch die Arme und schauen einen obendrein noch bös an. Eben sagte mir der Taxifahrer am Telefon, als ich in strömendem Regen weder zu Fuß, mit dem Fahrrad noch mit dem Roller zum Supermarkt fahren wollte, dass er keine Lust habe. „Ich mag nicht“: Und Japaner können sehr gefühlvoll sein. Es gibt gleich zwei Ausdrücke für „Ich liebe Dich“: 1. das unverfängliche „dai suki desu“, welches Mann auch mal zu seiner Sekretärin sagen kann wenn Sie z. B. ohne Nachfragen gleich beim ersten Mal was verstanden hat. Man übersetzt dies am besten mit „Dich mag ich“, „Du bist ein Schatz“ oder einfach „Geil!“. Und 2. das definitiv gefühlvolle „Ai shite imasu“, welches man nur benutzen sollte, wenn man ernsthaft ein tiefsitzendes Gefühl vermitteln will, wozu man sich auch im Beisein von Familienmitgliedern der oder des Adressaten, eines Standesbeamten und Trauzeugen bekennen würde.

Ich verabschiedete mich von meiner chemischen Reinigerin. Die gestandene Geschäftsfrau hatte uns nach zwei Jahren schmutziger Wäsche doch sehr ins Herz geschlossen. Forsch ergriff ich – nachdem Sie mit heruntergezogenen Mundwinkeln und über die Wangen gleitenden Zeigefingern Ihre Tränen angedeutet hatte – die Initiative und warf Ihr ein herzliches „dai suki desu“ (Sie sind ein Schatz!) zu. Sie erwiderte dies, indem sie mit der Rechten zuerst an Ihr Herz griff, und dann direkt auf meine Leistengegend deutete. Ich war etwas unschlüssig, wie ich mich nun als nächstes verhalten sollte. Mein Blick glitt betreten nach unten. – Dann zog ich sorgsam den Reißverschluß meines offenen Hosenstalls hoch. Gut, dass ich nicht vergessen hatte, vor dem Verlassen des Hauses meine Unterhose anzuziehen.

Am nächsten Morgen auf dem Bahnsteig: Ich nehme noch im Augenwinkel wahr, wie eine junge Frau hinter mir her läuft; endlich hat sie mich eingeholt und greift mir von hinten an den Hosenbund. Auch dies ist mir in Japan (und auch anderswo) zum ersten Mal passiert. Sie gebietet mir, mich still zu verhalten. Dann entfernt sie sorgfältig den Bon der Reinigung, der noch an eine Gürtelschlaufe meiner Hose geheftet war.

Ein "Tori" (zu deutsch: Tor)....

...markiert den Eingang zu einem Shinto-Schrein

Hier auf dem Gipfel des Fujiyama, des heiligen Berges Nippons

Das "Tori" symbolisiert auch generell die Trennung zwischen drinnen und draußen

Wenn ich auf meinem Parkplatz bin, bin ich in einer anderen Welt: Zu hause

Dienstag, 26. Mai 2009

Beim Großmarkt

Einkaufen in Japan ist meist ein angenehmes Erlebnis. Der Kunde wird mit lautem Hallo begrüßt und willkommen geheißen, er wird hofiert und umschmeichelt, die Kaufentscheidung löst Danksagungen und Verbeugungen aus. Zur Sicherheit werden an der Kasse noch einmal alle Unklarheiten beseitigt: Dies ist ein Hemd, und Sie wollen es wirklich kaufen? Beim erstehen mehrerer Artikel werden die Preise einzeln laut und klar angesagt. Das Geld wird wie eine Opfergabe mit offenen Handflächen demutsvoll entgegengenommen, das Rausgeld bekommt man direkt vor die Nase aufgefächert, jeder Schein wird nochmal einzeln mit dem Finger angeschnippst.

Die Ware wird natürlich nicht über den Ladentisch gereicht: Die Verkäuferin oder der Verkäufer bedeuten Dir mit einem freundlichen Lächeln und einer demutsvolllen Geste, Dich in Richtung Ausgang zu bewegen. Gemessenen Schrittes wirst Du zur Ladentür begleitet; erst an dieser Schnittstelle zwischen dem Reich des Gastes und der schnöden Außenwelt wird Dir das Erstandene mit einer weiteren Verbeugung, einem freundlichen Lächeln, einem Dankeschön und den besten Wünschen für das weitere Leben ausgehändigt.

In unserer näheren Umgebung haben wir alles was wir brauchen: Direkt vor der Haustür eine alte Bretterbude mit dem Nötigsten (Bier, Chips, Schokolade), etwas weiter weg den „kombini“, den klassischen amerikanischen „convenience store“, und fußläufig in 10 bis 15 Minuten zu erreichen zwei komplette Stadtteilzentren mit ALLEM. Das nette dabei ist, daß es in Japan viele kleine familiengeführte Geschäfte wie Gemüseläden, Schreibwarengeschäfte, Eisenwarenhandlungen usw. gibt wie im Deutschland der fünfziger Jahre. Schon seit vier Wochen nach unserer Ankunft in Japan werden wir in der Reinigung grundsätzlich mit Namen angesprochen, und Patty hat feste Verhältnisse mit dem Gemüsehändler und der alten Dame aus dem Schreibwarengeschäft, während ich gerne mit meinem Schneider, der hervorragende Anzüge anfertigt, einen trinken gehe. Die großen Einkäufe erledige ich mit meinem Megaroller, der einen beachtlichen Kofferraum hat, oder wir lassen frei Haus liefern…

Da wir nach dem Kurzurlaub unseren Leihwagen noch einen Tag länger hatten entschlossen wir uns, den Empfehlungen unserer „autorisierten“ Freunde zu folgen und zum Großmarkt zu fahren: Das ist wie der deutsche Real oder Wertkauf, hier kriegst Du alles, und viel billiger. Ich tippte die Telefonnummer des Ladens ins Navigationsgerät und wir brausten los.

Nach einer halben Stunde zügiger Fahrt und zehn Euro Autobahngebühren kamen erste Zweifel auf: Der Laden sollte doch in Kawasaki sein, nur zwanzig Minuten weit, und jetzt sind wir schon auf der anderen Seite von Yokohama! Wir folgten dem Navi von der Schnellstrasse runter, tankten und kamen schließlich in der Seitenstrasse eines kleinen Stadtzentrums zum stehen: Nach Großmarkt sah das nicht aus. Ich holte das Handy raus und wählte die Nummer:

- Toll, Sie sprechen English! Wir sind in Dingsda, sind wir hier richtig?
- Ja, eh, ein bisschen schon, wir sind nur drei Kilometer Luftlinie von hier!

Drei Kilometer Luftlinie bedeutet in Japan ca. vier Schnellstrassen mit mindestens sechs Megakreuzungen, acht Tunnels, 23 Bahnübergängen und rund zwei Millionen Menschen. Mit Fingerspitzengefühl tasteten wir uns an den Bordsteinen entlang; nach zweimal Anhalten und Fragen, einmal Umkehren in der Einbahnstrasse und einem umgenagelten Tankwart fanden wir uns auf dem Parkdeck eines riesigen Betonklotzes in Hafennähe wieder.

Als wir uns auf breiten Trassen den Weg ins Erdgeschoss bahnten, waren wir gefühlsmäßig irgendwo zwischen Bochum, Izmir und New Jersey angekommen. Großfamilien mit fetten Kindern, Einkaufswagen von der Größe eines Kleinlasters, darauf gestapelt riesige Pizzakartons, die nach Verzehr noch Verwendung als Raumteiler im japanischen Trockenbau finden.

Vor den Regalen wurden wir von resoluten Damen abgefangen, die unseren Ausweis sehen wollten. Ausweis? Erst jetzt entdeckten wir die großen Schilder: Heute ist ihr Glückstag, zwölfmonatige Mitgliedschaft beim Großmarkt für nur 50 EURO!

Halbbenommen und Unwissenheit vortäuschend bahnte ich mir den Weg zum Informationsschalter und fragte einen der Diensthabenden, der wie viele Japaner aussah wie Rex Gildo:
- Wir kommen hier extra aus Tokio um bei Ihnen einzukaufen. Geht das nicht?
- Ja!
- Ah so……Also, was meinen Sie jetzt, geht es oder geht es nicht?
- Ja!
- Wie bitte?
- So desu (tralalla)!
Angewidert von der nervenden Umgebung, im Geiste schon die Negativbilanz an verschwendeter Zeit und Autobahngebühren aufgemacht, wandten wir uns ab, um unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren. Auch noch Eintrittsgebuehr! Das ist ja wohl das Letzte!! - Beim Umdrehen vernahm ich ein deutliches „Hossa“.

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Am nächsten Samstag gehen wir wieder entspannt in den netten Supermarkt in Tokio um gepflegt ein paar Flaschen Wein zu kaufen. An der Kasse bitten wir, man möge doch ein Taxi rufen. Daraufhin bietet sich der Filialleiter persönlich an, uns nach Hause zu fahren. „Ach, da komm’ ich doch glatt mit, weil ich besser Englisch spreche“ bietet sich die nette kleine Kassiererin zusätzlich noch an. Patty wird sauer: „Und ich soll hier bleiben während Sie Flittchen mit meinem Mann nach Hause fahren? „Nein, nein, Sie kommen natürlich mit, wir haben ja Platz für vier im Wagen!“

Auf der Fahrt unterhalten wir uns nett mit der Kassiererin über Ihr Jahr als Austauschschülerin in den USA, während uns der Filialleiter umsichtig nach Hause chauffiert. Bei der Ankunft sind die beiden beim Ausladen behilflich. Als Abschied die Aufforderung: „Rufen Sie uns doch bitte an, wenn Sie das nächste Mal einkaufen wollen; wir holen Sie auch gerne ab!“

Mittwoch, 29. April 2009

Zurück im Alltag

Ich wußte, daß es ein schwieriger Tag werden würde, als ich mich bei der Auswahl der Socken nicht zwischen den dunkelbraunen mit der durchgeriebenen Ferse und den schwarzen mit dem etwas zu straffen Gummi entscheiden konnte. Dabei ahnte ich schon, daß es bei der Auswahl des Anzugs, des Hemdes, der Krawatte und des dazu passenden Schuhwerks weitere Entscheidungsprobleme geben würde. Gottseidank habe ich nur eine Uhr und trage normalerweise keine Manschettenknöpfe! Einmal mehr stand mein Entschluß fest, mir im nächsten Leben einen Butler zu leisten – oder einfach wie Barack Obama sieben identische, dunkelblaue Anzüge und fünf gleiche Paar schwarze Schuhe zu kaufen. Die muß dann aber wieder ein Butler in Ordnung halten und morgens auflegen…

Auf dem Weg zur Bahnstation war dann alles normal. Ich bemerkte ein frisches Frühlingslüftchen und grüßte die Nachbarn, die wieder ihre angeleinte Katze beim Stuhlgang mit der Handykamera fotografierten. An der Straßenkreuzung stand wie jeden Morgen ein blau-uniformierter mit dem Stab der Jedi-Ritter und einer Trillerpfeife, um die Passanten auf die Grünphase der Fußgängerampel aufmerksam zu machen. Dankbar und höflich nicke ich ihm zu.

Der Lazarettzug ist soeben eingefahren. Auf der Treppe höre ich schon das Schniefen in der Ursuppe – zu den Frühjahrsschnupfen hat sich die Allergiephase gesellt und jeder zweite Passant trägt einen Mundschutz. Das Schneuzen in der Öffentlichkeit ist ja verpönt - der Japaner verwendet das mitgebrachte Taschentuch – meist eher ein Waschlappen – nur zum Abwischen schweißgebadeter Körperteile wie Stirn und Nacken. Genießt wird – sofern kein Mundschutz appliziert ist – in die offene Hand, welche zu diesem Zwecke kurz von der Halteschlaufe genommen wird. Ich habe es mir deshalb angewöhnt, so lange es die Temperaturen erlauben, die Züge nur mir Handschuhen zu betreten.

Der Typ an der Waggontuer zieht die Nase hoch, daß sein uvulares Zäpfchen nur so schlackert. Als sich der Zug langsam füllt sehe ich tatsächlich zum ersten Mal, wie eine Frau einer Schwangeren ihren Sitzplatz anbietet. Bevor jene sich jedoch umgedreht hatte, war schon ein in sein Handyfernsehen vertiefter Jugendlicher in den freigewordenen Sitz geglitten. Keiner sagte ein Wort oder verzog die Miene.

Am Umsteigebahnhof dann doch wieder eine Zeichen von Menschlichkeit: Man hat bei drei weiteren Treppenstufen die provisorische Holzabdeckung mit Naturstein ersetzt. Ein Uniformierter mit dem Stab der Jedi-Ritter steht am Rand des Treppenabsatzes und murmelt den vorbeiströmenden Menschenmassen die Neuigkeit ins Ohr.

Der nächste Zug ist wie jeden Morgen wieder etwas voller. In einer neuen Variante des „pole dancing“ quetscht eine junge Dame zuerst ihr Hinterteil und dann den Rest ihres Luxuskörpers zwischen meine Vorderseite und die Stange, an der ich mich mit beiden Händen festklammere. Langsam wird es gemütlich im Zug, entspannt schaukele ich meiner Destination entgegen….

Vor unserem Büroturm in Roppongi Hills steht ein weiterer Uniformierter mit Sturzhelm. Mit einem Megaphon weißt er die Passanten darauf hin, daß heute starker Wind weht. - Durch meine verspätete Anreise treffe ich lauter fröhliche Menschen im Aufzug: Eine Regierungsbehörde hat den Betrieb der insolventen Zeitarbeitsfirma im 35. Stockwerk nach deren spektakulärem Zusammenbruch übernommen, und beschäftigt dort jetzt geistig und zum Teil auch körperlich benachteiligte Menschen. Damit sie nicht so auffallen, läßt man sie eine halbe Stunde später antanzen. Kontraproduktiv dann wieder, daß man sie einheitlich in das knallige Orange holländischer Fußballfans eingekleidet hat. Ich halte dies für eine schlechte Entscheidung.

Am Schreibtisch angekommen beginne ich die Woche wie jeder ordentliche Büromensch damit, meinen Locher auszulehren. Sorgsam achte ich darauf, daß keines der Konfettischnipsel auf dem Teppichboden landet. Danach fülle ich vorsorglich die Klammern meines Hefters auf – nichts ist beruhigender nach einer aufregenden Bahnreise. Mit feuchten Tüchern beseitige ich die Schmutzränder an den Bedientasten meines persönlichen Kopiergerätes.

Anschließend überprüfe ich meine – obligatorische, in jedem Büro in Roppongi Hills ausliegende – „Fire Prevention Check-List“ und stelle zufrieden fest, daß ich in der letzten Woche vor verlassen meine Einzelbüros jeden Abend alle Häkchen an der richtigen Stelle hatte machen können:
 Fluchtweg (in der Tat war die Raumtuere an keinem Tag verstellt gewesen)
 Elektrische Kabel (hingen an keinem Tag von der Decke)
 Feuer (nicht e i n e i n z i g e s Feuer letzte Woche in meinem Buero!!)

Beruhigt setze ich den – unter jedem Schreibtisch bereitliegenden – Erdbebenhelm auf und machte Pläne zur Verteilung der demnächst das Verfalldatum erreichenden Erdbeben-Kekse an die Belegschaft. Im 37. Stock fühlt man sich doch wesentlich sicherer, wenn man einen Schutzhelm aufhat.

Durch einen Anfrage in der Verwaltungsabteilung hatte ich diesen Montagmorgen für besondere Abwechslung gesorgt: Schnüffelnde Damen. Ich hatte in der früh einen leichten Gasgeruch konstatiert und dies in der Verwaltungsabteilung gemeldet. Zu zweit waren sie nun angetrabt gekommen, um sich selbst ein Bild zu machen.
Hier zahlte sich die langjährige Pflege japanischer Lebensart aus: Auf hohen Absätzen tänzelnd, die weiße vom Sonnenschirm beschützte Gesichtshaut kräuselte sich beim kontrollierten rümpfen der Nase auf die putzigste Weise ….
- Und, können Sie nichts riechen?
- Ja!
- Eh, wie, habe Sie etwas gerochen oder nicht?
- Ja, wir haben nichts gerochen, oder? Eh, hm, ich glaube ich rieche mal da drüben ein bißchen weiter!
- So desu (trallala)

Schnüffelnde junge Damen im morgendlichen Büro schaffen eine ganz einzigartige Atmosphäre, und ich überlegte mir, ob ich sie nicht öfter zum Schnüffeln einladen sollte.

Spontan entscheide ich, eine kleine Teezeremonie abzuhalten und dabei die Zeitung zu lesen. Mit Entsetzen lese ich von der Insolvenz eines namhaften deutschen Unterwäsche-Herstellers. Während die Damen weiterschnüffeln überprüfe ich verstohlen das Etikett, indem ich meinen Hosenbund nach außen stülpe, und in der Tat, es kann kein Zweifel bestehen: Meine eben gefaßten Pläne zur Standardisierung meiner Garderobe sind auf eine neue, bisher nicht eingeplante Hürde gestoßen!

Bevor ich mich dann auf den Weg zum Zahnarzt machte nahm ich noch schnell einen Schluck aus der in meinem Rollcontainer bereitstehenden Flasche Mundspülung. Gurgelnd machte ich mich auf den 40-Meter-Weg zum Waschraum. Plötzlich passieren zwei unvorhergesehene Dinge: Ein Rudel schnüffelnder Damen biegt um die Ecke, und meine Nase fängt entsetzlich an zu kitzeln. Jetzt bloß nicht nießen, sagte ich mir, sonst war die ganze sorgsame Imagepflege der letzten beiden Jahre umsonst gewesen! Ich nicke den Damen mit aufgeplusterten Wangen und zugehaltener Nase zu und schaffe es gerade noch zum Waschbecken in der Toilette, wo mein Niesprusten vom Rauschen der Klimaanlage und der Analdüsen übertönt wird.

Die Zahnbehandlung findet in der Großraumpraxis statt: mindestens 10 offene Münder..; der kollektive Mundgeruch beim Eintritt in die Klinik ist gewaltig, nur vergleichbar mit dem explosiven Gasgemisch im Abendzug vom Tsukiji-Fischmarkt.
Ich begab mich in den Behandlungsstuhl; linkerhand wie gewohnt unter der Wasserdüse das Pappbecherchen mit der Aufschrift „Let’s Brushing!“ Darunter in kleinerer Schrift „I am a toothbrush“.

Dies sollte nicht das einzige Mißverständnis sein. Auf meinen Hinweis, daß meine Schneidezähne eine starke Empfindlichkeit aufwiesen, begann die junge Dame, mir wild die Fresse zu polieren. Dabei hustete sie ständig, und im Gegensatz zu sämtlichen Passagieren in der U-Bahn trug ausgerechnet sie keinen Mundschutz. Dafür hatte der Kollege Zahnarzt eine gewaltige Halskrause ums Genick: Er litt unter Haltungsschäden vom vielen Bohren. Wir konnten uns gegenseitig wenig weiterhelfen.

Ich beschloß, die Behandlungsversuche zu beenden und stattdessen zum Frisör auf derselben Etage zu gehen. Auf dem Weg dahin nahm ich aus dem Augenwinkel eine Gruppe übergewichtiger Behinderter war, die sich braune und strohfarbene Bürsten auf den Kopf geklebt zu haben schienen. Im Vorbeilaufen hörte ich am Tonfall, daß es sich lediglich um eine Touristengruppe aus dem Rheinland handelte.

Beim Frisör nehme ich immer Angebot 1 von der Preisliste: „Cut and Blow“, obwohl ich beim Lesen dieser Formulierung jedes Mal kurz zucke. Inzwischen ertrage ich die Behandlung mit Fasson (pardon!).

Mit lautem Hallo werde ich begrüßt. Nachdem mir zwei freundliche Mitarbeiter aus dem Jackett helfen, bietet mir die junge Frisöse huldvoll das Lederetui zur Ablage der Brille dar. Was, diesmal ohne rasieren??? Zuerst wird mir trotzedem ein heißes Tuch über den Kopf gelegt; sanft werden dabei die Haare eingedampft. Danach werden mir die Zeitschriften meiner Wahl gereicht. Nach dem Schneiden wird der Oberkörper wird von mehreren Lagen dicker Frotteetücher vom Kopfbereich abgeschirmt; das Nackentuch wird umgelegt und bekommt einen Streifen Zellophanpapier in die Falte damit es nicht näßt. Die Lehne wird zurückgefahren und dann erfolgen drei (3!) Waschungen, bei denen es sich eigentlich um Massagen handelt: Eine Hand hält den Kopf am Nackenansatz konstant in der waagrechten und massiert die Nackenwurzel; die andere Hand massiert die Kopfhaut. Nach der letzten Spülung wird ein heißes Tuch auf den Kopf gelegt, um das Haar sanft zu trocknen. Ein weiteres heißes Frotteetuch wird dem Kunden in die Hand gereicht: Er möge sein Gesicht darin versenken und sich von den Anstrengungen erholen. Danach erfolgt dann eine komplette Nacken- und Schultermassage. Zum Fönen werden die Haare dann noch ein bißchen naßgemacht.

Montag, 6. April 2009

Sukii ga suki desu (shifoan is desu laiwan tsu te wosma sinua vua shutoen ko)

Wenn man mitten in Tokio wohnt, ist Skifahren kein Problem: Vom Tokioter Hauptbahnhof fährt im Halbstundentakt ein Shinkansen-Schnellzug in die japanischen Alpen; nach 90 Minuten schwebt man vom Ankunftsbahnhof mit der Rolltreppe direkt ins Skigelände. Die nötige Ausrüstung gibt’s vor Ort.

Oder man trifft sich Sonntagmorgen um sechs mit ein paar Kollegen an der Straßenkreuzung, quetscht sich zu den Kindern in ein Auto und fährt gemütlich auf der Autobahn, bis man nach drei Stunden und zwei Kotzpausen auf einem halbvollen Riesenparkplatz direkt vor den Skiliften ankommt. Auch hier steht im Durchgangsterminal wieder eine Horde junger Menschen bereit, welche dich mit freundlichem Lächeln und für vergleichsweise wenig Geld in Minuten von deiner legeren Straßenkleidung befreien und in einen komplett ausgestatteten Skifahrer verwandeln. Großzügige Umkleideräume und Spinde stehen zur Verfügung. Die Pisten sind wie in der Schweiz, die Lifte wie in Österreich, und die Hochhaushotels, na ja, die sehen eher so aus wie in Frankreich.

Da Fritz gerade Faschingsferien hatte und die Angebote sehr, sehr günstig waren, beschlossen wir zwei Skifahrer, zusammen – nur Vater und Sohn – für ein paar Tage auf die Nordinsel Hokkaido zu fliegen: Das Wetter dort wird von Sibirien beeinflusst und ist schneesicher, der Schneefall beläuft sich auf durchschnittlich 28Meter in Jahr…

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Wir wohnen eher in der Stadtrandmitte von Tokio, und so ist auch der japanische Binnenflughafen Haneda nicht so leicht zu erreichen: Mit dem Zug muß zweimal Umsteigen schon sein, und wir hatten anderthalb Stunden für die Anreise zum Flughafen einkalkuliert.

Die Tokioter Metrostationen, insbesondere die Umsteigebahnhöfe, haben es in sich: Sie sind ineinander verschachtelt und übereinander gestapelt, die Verbindungsschluchten und Ausgangswege stehen in ungewöhnlichen Winkeln von siebzehn bis 295 Grad zueinander und erstrecken sich über viele Stockwerke. Der Weg zur Oberfläche erscheint zuerst endlos, dann sinnlos, und bis man schließlich eine der von A1 bis Z25 durchnummerierten Öffnungen mit freiem Blick auf ein Stückchen Himmel erheischt weiß man nicht mehr, ob man Männchen oder Weibchen ist. Geschweige denn, wo Norden und Süden sind, oder wo man eigentlich mal hinwollte.

Unser erster Umsteigebahnhof an diesem Morgen erschien bis zum sechsten Tiefgeschoß zunächst harmlos, bis auf daß die einzelnen Rolltreppenabschnitte doppelt so lang waren wie bei anderen Bahnhöfen. Circa 200 Meter unter dem Meeresspiegel hatte man eine großzügige Raumstation eingebaut, und tausende Menschen schienen genau zu wissen, wo sie hinwollten – nur wir nicht.

Bei der nächsten Station hatte sich die Anzahl der Rolltreppenabschnitte noch einmal verdoppelt, wahrscheinlich waren wir bei der Durchquerung des Tokioter Beckens noch etwas in die Tiefe gerutscht. Leider verzählten wir uns bei der Anzahl der Streckenabschnitte auf dem Weg nach oben und wußten jetzt nicht mehr, ob es eine gerade oder eine ungerade Anzahl war: Dies hätte natürlich eine direkte, sprich 180-Grad-Auswirkung auf die Richtung unserer Weiterfahrt.

Statt noch mal zurückzugehen und das Ganze mit dem Kompass noch mal von vorne aufzuziehen ging ich erstmal auf die Toilette, um mir Gewissheit über meine geschlechtliche Identität zu verschaffen. Hernach war ich wieder in der Lage, Fritz die Richtung vorzugeben. Außerdem gebot ich ihm, umgehend damit aufzuhören mich „Mutter“ zu nennen.

Der Flughafen dann das Kontrastprogramm: Noch mehr als der internationale Flughafen Narita zeichnet sich der Binnenflughafen Haneda durch große Übersichtlichkeit aus. Innerhalb von fünf Minuten hatten wir eingecheckt. Die Sicherheitskontrolle für Binnenflüge war ein Klacks. Beim Einstieg in den Flieger dann mal wieder ein Beispiel japanischer Prozessoptimierung, allerdings mit viel Personal: Vor den beiden Bordkartenlesegeräten stehen jeweils zwei Bedienstete der Fluggesellschaft. Huldvoll öffnen Sie die Hände, als würden Sie eine Opfergabe empfangen, und schieben unter großer Danksagung die Flugkarte ins Lesegerät. Dahinter stehen dann wieder jeweils zwei und reichten unsere mit einer Verbeugung und einem kleinen Dankeschön den abgetrennten Bordkartenabschnitt. - Der Einstieg von 570 Passagiern in den Jumbo war in fünf Minuten über die Bühne – ich war beeindruckt.

Außerdem konstatiert man auf japanischen Binnnenflügen die auffällige Abwesenheit von Pöbel, nägelkauenden Flugpsychopaten, korpulenten Blondinen, schreienden Kindern und sonstigem flugtechnischen Kernpersonal. Sanft schwebten wir mit dem Jumbo nach einer Stunde in Hakkaido ein. Die ausgesucht nette Flugbegleiterin kümmerte sich auch ganz rührend um uns und stellte durch sanftes Eindrücken jeder Gepäckfachtür vor dem Abflug und dann wieder vor der Landung sicher, daß auch wirklich alle Schlösser derselben noch immer eingerastet waren….

Hokkaido liegt auf dem „Bieräquator“ (München – Milwaukee – Sapporo) und ist außer für seine exzellenten Brauerein und dem schon erwähnten Schnee auch noch bekannt für seine Kartoffeln. Die angenehme, zweistündige Busreise durch meterhohen Schnee über leichte Hügel, entlang dem letzten nicht einbetonierten Fluß Japans, wurde also nur durch eine kurze Kartoffel- und Bieraufnahme unterbrochen. „Reis sollen doch die in Tokyo fressen!“

Im Schigebiet wurde es dann so richtig langweilig. Das Hotel war einfach nur schön. Der Skilift beginnt direkt am Hotel. Beim Durchgang zum Liftgebäude passiert man die junge Garde der Ski-Butler – junge, freundliche Leute aus allen Ländern der Welt (also hauptsächlich Japan und Australien) nehmen Dir Deine Schuhe ab und bringen Dir Deine Skiausrüstung. Anziehen musst du dich selbst.

Den Schnee in Hokkaido kann man mit Fug und Recht als g’fuehrig bezeichnen. Der einzige Unterschied zu einem Skigebiet in, sagen wir mal Österreich, ist, dass kein einziger Skilehrer Franz heißt. Oder Rüdi. Der Schnee lag so hoch dass keine einzige Palme rausguckte, am Gipfel satte vier Meter. Der Gipfel lag dreizehnhundert Meter über dem Meeresspiegel; da sieht man mal, was so eine Wetterfront aus Sibirien bewirken kann.

Die blauen Pisten sind in Japan grün, da der Japaner nicht zwischen blau und grün unterscheidet. Bei der Führerscheinstelle hatte ich aus diesem Grund letztes Jahr größere Diskussionen ausgelöst. Nun gut, hier auf der Piste konnte man doch sehr schnell sehen, dass es sich hier nicht um Wanderwege handelte. Während ich zuerst verkrampft und denn etwas entspannter meine Stemmbogenschwünge auf den roten und grünen Pisten ausfuhr, raste Fritz durch den „schwarzen“ Tiefschnee.

So langsam ging uns das Ganze auf den Geist: Wir hatten grantelnde Meuten an überfüllten Liften erwartet, aggressive Kinder, überfüllte Kabinen, eisige Winde und dichten Nebel: Nichts dergleichen! Nette junge Männer geleiteten uns zur Liftkabine, am anderen Ende reichte uns eine wirklich reizende junge Dame das Gerät lächelnd wieder zurück, um sich dann wieder der Besenreinhaltung der Bergstation zu widmen: Wo dieser dumme Schnee doch auch überall hinweht!.

An gar nichts konnten wir uns aufregen: Das Hotelzimmer war mit zwei großen Betten und Matratzen erster Güte ausgestattet, die Aussicht war grandios, das Bier lecker. Wir entschlossen uns, die schicken Jukatten anzulegen, in das Thermalbad in der ersten Etage zu gehen und mal richtig was zum Meckern zu finden. Aber nein, die Fazilitäten waren einwandfrei, die Holztreppe nach Außen wurde zur Vermeidung von Fußkälte mit heißem Thermalwasser überspült, und dann saßen wir da draußen im richtig knackig dampfenden Wasser, starrten durch das leichte, immer erst abends einsetzende Schneetreiben in den weihnachtlichen Tannenwald – und hatten wieder nichts zu meckern.

Und die japanischen Skigebiete haben sogar Hütten, in denen es akzeptables Essen, heißen Tee und kaltes Bier gibt. Ganz großartig sind die Hütten mit Tatamimatten: Hier kann man die Skistiefel ausziehen und sich auf ein paar Kissen langlegen: Eine schöne Erholung zwischendurch.

Schließlich fanden wir uns damit ab, nichts zum Meckern zu finden. Und damit wir auch wirklich nichts zum Meckern hatten nahmen wir drei Tage später nach dem entspannten Bustransfer durch wunderschöne Landschaft, und dem entspannten Ein-Stunden-Rückflug im dicken Jumbo ganz entspannt ein Taxi, welches uns in einer halben Stunde und zu einem vernünftigen Preis in unserem entspannten Zuhause absetzte.

Dienstag, 10. Februar 2009

Im Knöpflesbad (Onsen)

Inzwischen bin ich süchtig. Der erste Besuch in einem japanischen Thermalbad ist gewöhnungsbedürftig: Zuerst zieht man die Schuhe aus und gibt sie in ein Schließfach an der Pforte. Strümpfig stellt man sich anschließend am Empfang vor und lallt „Unsinn“, worauf der diensthabende Japaner eifrig nickt, denn er versteht „Onsen“, und schiebt einem einen Schlüssel für ein zweites, größeres Schließfach im Badebereich, einen Trainningsanzug sowie ein Bade- und ein Handtuch über die Ladentheke.

Nun muß man die chinesischen Schriftzeichen für Mann 男 und Frau 女 kennen und auseinanderhalten. Im Zweifel sieht man sich, nachdem man den mit dem entsprechenden Schriftzeichen emblemierten Vorhang geteilt hat, mit dem ersten Faux Pax konfrontiert – die Badeabteilungen im Onsen sind nach Geschlechtern getrennt (wobei Kinder bis zum Alter von geschätzten fünf Japanerjahren von einem Elternteil oder Onkel mitgenommen werden können).

Der Umkleidebereich ist mit Tatamimatten ausgelegt, und deren subtiler Geruch, das sanfte Laufgefühl sowie die schon hier von den heißen Becken herüberströmende Wärme erzeugt bei den Japanern jenes Wohlgefühl, das sie von früher Kindheit mit allem assoziieren, was sich auf Tatamimatten so abspielt.

Völlig entblößt und nur mit dem kleinen Handtuch bewaffnet machte ich mich an die gründliche Waschung, welche rituell im Sitzen stattfindet: Der Brauseschlauch im Gemeinschaftsduschraum reicht nicht zur Standdusche. Entsetzt starrte ich auf den kleinen Plastikschemel, auf dem man sich hierzu platzieren muß, aber zum Glück hat der in der Mitte der Sitzmulde ein Loch. Stimmung im Waschraum kommt auf, wenn man dem Nebenmann den Schemel unterm Hintern wegzieht. Deshalb geht man am besten mit jemandem ins Onsen, den man gut kennt. Ich hatte meinen Freund A. mitgenommen.

Nachdem ich mich ordentlich eingeseift hatte, duschte ich mich schön ab. Danach seifte ich mich entsprechend dem Ritual ein zweites Mal ordentlich ein und zog meinem Nebenmann den Schemel unter dem Hintern weg. A. hat sehr gelacht.

Endlich konnten wir uns zur heißen Quelle begeben. „Knöpflesbad“ war der Begriff, der sich meinem Freund A. beim ersten Blick in die entkleidete japanische Männerrunde aufdrängte. A. ist Schwabe.

Man läßt sich in eines der vielen Becken gleiten, jeweils für ca. vier bis maximal ein Dutzend Personen vorgesehen, die mit unterschiedlichen Temperaturen, von 40 Grad Celsius aufwärts, aufwarten. Wir entschieden uns zuerst für den heißen Whirlpool und ließen es mal so richtig blubbern.

Anschließend gingen wir ins Außenbecken: Das Außenbecken ist logischerweise das heißeste, und zwar mit vollen 42 Grad, was allerdings auch für das japanische Herz-Kreislauf-System eine gewisse Schmerzgrenze darstellt. Das Außenbecken ist am stimmungsvollsten gestaltet: Halb überdacht mit auf hohen, grob behauenen Baumstämmen ruhenden Holzlatten, umrahmt von scheinbar natürlich angeordneten Findlingen, die der kaiserlichen Kiesgrube alle Ehre machen würden. Nonchalant eingepasste hexagonale Steinstelen vermitteln weitere mineralische Gefühle, und obendrein lugt noch der Mond durch die Zweige der umstehenden Bäume – von einigen Stellen der Anlage ist sogar der heilige Berg Fujiyama zu sehen.

Inzwischen hatten sich die Knöpfle allerseits in Spätzle verwandelt, die von der geschabten Sorte. Wir entschlossen uns, der Entspannung noch eins draufzusetzen und ließen uns, wieder im Innenbereich, ins Liegebad gleiten: In angenehmer Temperatur liegt man auf glattem Stein, der sich im Rückenbereich sanft nach oben wölbt. Das kleine Handtuch, welches im Außenbecken noch zur Warmhaltung des Kopfes nach Manier der japanischen Bauarbeiter um denselben gewickelt wird, dient nun als Kissenbezug für die steinerne Kopfrolle.

In dieser Position kann man es eigentlich stundenlang aushalten, aber irgendwann bekamen wir Lust auf die Abkühlung, es war Zeit für das kalte Becken: Hier zeigt das Thermometer ein bis zwei Striche unterhalb der 20-Grad-Grenze an: kalt genug um einen ins Leben zurückzuholen.

Nach dem Eisbad zeigten sich auch unsere sekundären Geschlechtsmerkmale in quasi komplett eingefahrenem Zustand und wir wussten: Es ist Zeit für das Après-Onsen! Hierzu kleidet man sich in den anfangs ausgehändigten Trainingsanzug (Stil Zeltplatz, Holland) und trifft sich, barfuß watschelnd auf den verschiedenen Etagen, in den Gemeinschaftsbereichen. Im Restaurant liegt man halb, sitzt man halb auf Tatamimatten und bekommt eiskaltes Fassbier in Halbliterkrügen serviert. In verschiedenen Ecken liegen ganze Familien vor dem Fernseher oder spielen Spiele. Ruheräume stehen in verschiedenen Abstufungen zur Verfügung: Vom Fauteuil mit Fußschemel und verstellbarer Rückenlehne bis zur komplett flachen Tatamiliege im halb abgedunkelten Schlafraum. Entspannung pur.

Manche schwärmen auch von der Massage. Bis jetzt habe ich hier in Tokyo drei Versuche gestartet, jedes Mal ein Misserfolg. Man massiert hier grundsätzlich durch die Kleidung hindurch, und wenn eine kleidungsfreie Stelle massiert werden muß, streift der Masseur Handschuhe über. Da fehlt das Feingefühl, und der Behandlungserfolg ist mit dem bei einem deutschen Physiotherapeuten nicht vergleichbar.

Samstag, 24. Januar 2009

Der Fujiyama weist den Weg nach Tokio

Halloween im japaníschen Wald

Japanische Vogelscheuche

Japanischer Weinberg

Kleine Herbstreise – Teil 2

Der Nachmittag brachte Unerwartetes: Nach einem Ausflug auf weit über 1000 Meter ins viel zu kalte Schigebiet Shiga Kogen fuhren wir schnell wieder ins Tal und suchten uns einen Punkt am gegenüberliegenden Horizont: Sanfte Hügel in Sonnenlage lockten uns zu einem altweiberlichen Sommerspaziergang. Das ganze Nagano-Tal lag vor uns ausgebreitet und wir stellten fest: Es ist ein fruchtbares Tal. Die Lieblichkeit der Landschaft erinnert stark an andere der Sonne zugewandte Vorgebirgslandschaften, die sich voll dem Obstanbau gewidmet haben, in anderen Teilen der Welt, sei es nun südlich der Alpen, westlich der Rocky Mountains oder sonstwo wo ich noch nicht war.

Zwischen saftigen Reben wanden wir uns die sacht ansteigenden Bewirtschaftungswege hoch, die im Rheingau oder Kaiserstuhl auch nicht anders aussehen. Lautlos und mit entspannter Konzentration pflückten weißbehandschuhte Japanerinnen rote Riesenäpfel von dichtstehenden Zwergbäumen und legten sie umsichtig in überquellende Weidenkörbe, welche sie anschließend mit Ihren bereitstehenden steuerbegünstigten Minilastern mit gelbem Nummernschild abtransportierten. Schweigsam starrten uns skurrile Vogelscheuchen an, welche halbverdeckt hinter den von karminroten Kakifpflaumen schwerbeladenen Ästen hervorlugten.

Der Weg verlor sich nach einiger Zeit im buntgefärbten Herbstwald, und wir kehrten gerne auf derselben Route zurück: Die Früchte schmeckten hervorragend, mit der Massenware im Tokioter Supermarkt nicht zu vergleichen.

Beim Auto wiederangekommen stellte sich die Übernachtungsfrage: Die Nacht in Japan bricht plötzlich und unerwartet herein, und wir wollten nicht wieder stundenlang an viel zu hohen Bordsteinen entlangschrubben und uniformierte Schulkinder gefährden. Ums Haar wären wir in das primitive Landgasthaus der letzten Nacht zurückgekehrt, währte das wohlige Thermalbadgefühl doch immer noch an. Doch die Abenteuerlust überwog und wir entschlossen uns, in die eine Stunde entfernte Präfekturhauptstadt Nagano zu fahren: Von einem dort als gut ausgewiesenen Stadthotel hatten wir die Telefonnummer, wir wollten ja auch in der kurz bemessenen Zeit nicht zum Wiederholungstäter werden, und der Preis war nur grade mal doppelt so hoch, inkludierte dabei aber schon das Frühstück.

Auf der Straße schienen gerade die paralympischen Spiele eröffnet worden zu sein; wir hatten mal wieder eine Dreiviertelstunde allerhand zu tun, um die Kollision mit Rollstuhlfahrern und Sonderschulkindern auf den engen, schlechtbeleuchteten Nebenstraßen zu vermeiden. Endlich stießen wir auf eine nummerierte Hauptverkehrsstrasse, die auch auf unserer Karte verzeichnet war, und konnten uns in den endlos erscheinenden Stau nach Nagano-Stadt, entlang einer durchgängigen, universellen Phalanx von Tankstellen, Schnellrestaurants und Autohändlern einreihen. Die Harmonie war durch das lange Eingesperrtsein im Auto aber erstmal gestört, und der eine wies dem anderen die Schuld an der beknackten Entscheidung zu – der Tag schien doch noch böse enden zu wollen. Völlig gestresst waren wir – wieder eine Stunde später – eben dabei, uns bei einem Kampfhalt an der Tanke mit den – wie in Japan üblich platzsparend von der Decke hängenden – Zapfstutzen gegenseitig die Schädel einzuschlagen, als eine Tankwärtin uns die Telefonnummer unseres Hotels ins Navigationssystem eintippte: Dies brachte uns binnen zehn Minuten direkt vor die Auffahrt des Saihokukan-Hotels in Nagano-Stadt.

Das für relativ wenig Geld erhaltene Zimmer mit der Nummer 4005 kann ich sehr empfehlen: Ein großes Bett mit Taschenfederkernmatratzen erster Güte, hinter dem raumtrennenden altenglischen Sekretär eine fette amerikanische Sofagarnitur, eine gut gefüllte Minibar, dicke Bademäntel und ein von hinten beheizter Spiegel im großen Bad verhinderte das Beschlagen desselben, und zwar beim Rasieren des Gesichts nach der ausgiebigen Dusche. Anschließend setzten wir uns in den gediegenen Salon neben dem französischen Restaurant im Erdgeschoß, und bei einer dicken Zigarre und einem wohltemperierten Cabernet gaben wir uns – wieder versöhnt – einer entspannten Kontemplation über die Vorzüge japanischer Großstadthotels hin.

Am nächsten Tag war Weltspartag, der in Japan traditionell als Halloween begangen wird. Nach dem ordentlichen westlichen Frühstück beschlossen wir angesichts des großartigen Preis-Leistungs-Verhältnisses noch einen Tag im gleichen Hotel zu bleiben und stellten unsere Resturlaubspläne kurzerhand um: Statt einen wilden Fahrplan ans Japanische Meer auszuhecken und den meisten Tag im Auto zu verbringen, folgten wir einfach dem nächsten Flusslauf in die japanischen Alpen. Nach einer knappen, von schönem Landschaftsbild und wunderbarer Herbstfärbung geprägten Stunde kamen wir so in Oomachi an, einem Zentrum der japanischen Bergsteigerzunft. Nachdem wir fünf Minuten die Hauptstraßen abgefahren hatten gaben wir die Suche nach Lodenhüten und Edelweiß auf; das Stadtbild entsprach eher einer dem einer Kleinstadt in Alaska – kurz v o r dem Goldrausch. Also machten wir es wie am Tag zuvor: Anpeilen eines attraktiven Bergrückens am Stadtrand, Auto abstellen, hochwandern: Eine Formel, die auch in Japan zu funktionieren scheint. Und in der Tat stießen wir Stunden später auf dem 1300 Meter hohen Gipfel neben einem Holzpferd, einem Aussichtsturm und einem Shinto-Schrein bei milden Temperaturen auch auf eine Gastwirtschaft, in der uns mit eiskaltem Bier ein herzlicher Empfang bereitet wurde – außer uns hatten sich nur zwei weitere verliebte Paare hierher verirrt.

Jetzt hatten wir nur noch anderthalb Urlaubstage, aber wir hatten unseren Rhythmus gefunden. Wiederum suchten wir uns am nächsten Morgen ein Flusstal, diesmal Richtung Süden bzw. Tokio, und der Reiseführer hatte uns an die richtige Stelle gelotst: Zwei mittelalterliche Dörfer vom Typ Poststation, Tsumago und Magome, die wichtige Etappen auf der alten Route Tokio – Osaka markierten, waren herausgeputzt wie ob der Tauber. Nur das gelegentliche Reisfeld gab einen Hinweis darauf, dass wir uns doch nicht im Wallis befanden. Außerdem waren wir hier von mehr Japanern umzingelt als auf dem Jungfraujoch.

Nachdem wir uns mit Lodenhüten und Edelweiß eingedeckt hatten machten wir uns auf Zimmersuche: Die Dame im antiken Fremdenbüro setzte alle Hebel in Bewegung, und fand schließlich nach vielen Telefonaten noch eine letzte Herberge in einem Aussiedlerhof hoch über dem nächsten Dorf. Also konnten wir in Ruhe den Nachmittag in der Herbstsonne genießen, welche sich untergehend in den warmen Farben der Holzhäuser und der zum Trocknen aufgehängten Feldfrüchte brach. –

Als wir beim Aussiedlerhof ankamen war es – obwohl erst sechs Uhr – schon wieder stockfinster. D. h. wir kamen gar nicht an, sondern wir mussten das Auto an der letzten Kreuzung parken und uns mit Händen und Füßen den Berg hochtasten – es war zu dunkel, um einen konkreten Straßenverlauf auszumachen. Der Hof war dann doch beleuchtet und erinnerte sehr stark an etwas, was wir schon mal im Schwarzwald gesehen hatten. Die Hausherrin im Bademantel öffnete uns die Tür – wir waren wieder in einem Ryokan gelandet.

Das Zimmer, zu einem ähnlichen Preis wie das luxuriöse Großstadthotel der beiden Nächte davor, entsprach dem Standard Studentenwohnheim frühe sechziger Jahre, nur mit etwas weniger Charme, und daß es eben nach japanischer Sitte kein Bett gab. Aber: der stolze Preis beinhaltete neben dem Frühstück und zwei Jukatas – traditionellen japanischen Bademänteln – auch das Abendessen. Um uns herum saßen 40 Japaner in Jukatas und schoben sich mit ihren Stäbchen haufenweise ungenießbare Sachen in den Mund – wir kamen uns vor wie Heinrich Harrer im ersten Jahr in Tibet. Gottseidank gibt es aber das leckere japanische Bier: Damit konnte ich zumindest den gegarten und von Extremitäten befreiten Teil des Abendessens hinunterspülen. Und nett waren Sie auch, muß man schon sagen.

Aber Patty hatte mich schon gewarnt: Das Wachbecken im Gemeinschaftsbad sei wohl schon seit Abschluß der ersten Bauphase nicht mehr gereinigt worden. Und was sei dies für ein komisches Insekt da an der Wand unserer Schlafkammer?

Zuerst versuchte ich das Ganze noch mit Humor zu nehmen: Alle zehn Minuten zerdrückte ich eine neu zwischen den Ritzen der Tatamimatten auftauchende Wanze und deponierte die Reste auf dem Aschenbecher im Flur. Ich stellte die Kamera an und filmte mich, wie ich – in meinen japanischen Bademantel gekleidet – zerdrückte Wanzen auf dem Aschenbecher im Flur deponierte. Patty war stinksauer, und auch ich fühlte mich nicht mehr ganz so wohl wie am Nachmittag. Als ich mir dann auch noch im Display den Film anschaute, wie ein offenbar leicht angetrunkener alter Geselle, mit schütterem Haar und einem albernen japanischen Bademantel bekleidet, Wanzen zerdrückt und auf dem Aschenbecher im Flur deponiert, ging auch meine Stimmung nahtlos in die Depressionsphase über. Ich beschloß, mich auf den Boden zu legen, mich mal so richtig zu verspannen und meinen Alpträumen nachzugehen. Zu dem weiteren Verlauf der Nacht ist nichts zu sagen, als daß ich alle zehn Minuten das Licht wieder anknipsen mußte um eine beknackte Wanze, die sich durch lautes Flügelschlagen bemerkbar gemacht hatte, zu zerdrücken.-

Als die japanischen Mitbewohner am Morgen nach Landessitte die Reste des Abendmahls zu sich nahmen schlichen wir uns aus dem Haus, steuerten den Wagen Richtung Fujiyama und freuten uns den ganzen Tag auf unser Bett in einem schönen Haus in Tokio.
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Am 16. Januar 2009 berichtet die Japan Times von der jährlichen Neujahrs-Gedichtelesung im kaiserlichen Palast. Die Teilnehmer waren aufgefordert, ein Gedicht im „Waka“-Stil zu verfassen. Ein Waka-Gedicht besteht üblicherweise aus 31 Silben, aufgeteilt in das Versmaß 5-7-5-7-7. Das Thema für die diesjährige Lesung lautete „Leben“.

Wie jedes Jahr steuerte auch der Kaiser selbst ein eigenes Gedicht bei. Es handelt vom Geziefer in seiner Residenz und wurde von der kaiserlichen Hofverwaltung wie folgt veröffentlicht:

Geschöpfe beobachtend
Wie ihr Leben eng verbunden ist
Und verwoben
Fünfzehn Jahre leben wir jetzt
Hier im kaiserlichen Palast

Das Gedicht der Kaiserin handelte von sommerlichen Mückenschwärmen.