Montag, 22. Dezember 2008

Weihnachten in Roppongi Hills, Tokio

Herbstfärbung im japanischen Wald

Japanische Thermalbäder fördern den Haarwuchs

Kleine Herbstreise - Teil 1

Eigentlich macht man in Japan keine „Road Trips“. Eine der tragenden Hauptsäulen der japanischen Gesellschaft ist die Berechenbarkeit, und davon abgleitet sind die beiden Nebensäulen „klare Hierarchien“ und „unbedingte Vorhersagbarkeit“. Der Japaner und die Japanerin kennen ihr angestammtes Plätzchen und sie wissen jeden Morgen genau, wo sie hin müssen und was sie da zu tun haben.

Der Japaner fährt nicht mal eben ins Blaue: Jede Überland-Zugfahrt und jede Übernachtung wird mindestens drei Wochen im Voraus gebucht, damit sich alle beteiligten Parteien darauf einstellen können und nichts Unvorhergesehenes eintritt. Nur so können jeden Tag die Millionenheere auf ihren reservierten Sitzen in den Schnellzügen Platz nehmen und sich entspannt ihre Reisbällchen in den Mund schieben, welche sie dann mit dem eiskalten Bier aus den immer perfekt bestückten Verpflegungswägelchen hinunterspülen. Unvorhergesehene Ereignisse und Situationen führen zu stressbedingten Reaktionen wie laut hörbares Durch-die-Zähne-Luft-Einsaugen, spastische Verbeugungsanfälle oder völlige Erstarrung.

Patty und ich hatten mangels Kenntnis der japanischen Geographie nur eine vage Vorstellung davon, wo wir diesen Herbst hinwollten und wie schnell wir vorankommen würden. Auf jeden Fall wollten wir uns erholen vom Tokioter Dauer-Zugfahren, wir wollten schöne Landschaft erleben und anhalten wo es uns passt: Richtung Nagano in den japanischen Alpen sollte es gehen und dann weiter zum japanischen Meer: Ein „Road Trip“ also.

Kurz nach Büroschluß mietete ich einen bequemen Reisewagen im zweiten Tiefgeschoß meines Büro- und Dienstleistungszentrums Roppongi Hills.
Beeindruckend wieder die Prozeßoptimierung bei bekannten Abläufen: Nach Ausfüllen der Formulare werden ein paar Knöpfe gedrückt und das komplexe Aufzugsystem der sich über fünf Ebenen erstreckenden unterirdischen „Parklandschaft“ hievt den georderten Wagen herbei und schiebt ihn in die Vereinzelungsrampe hinter einer elektronisch freizugebenden Glastür, bereit zum Abschuß in den Tokioter Verkehrskosmos.

Der Fahrt nach Hause war ein Klacks: 30 Minuten statt den üblichen 50 mit dem Zug; doch am nächsten Morgen: Über eine Stunde und rund 150 Ampeln, bis wir an der gewünschten Autobahnauffahrt ankamen. Allerdings einmal auf der Autobahn, Richtung von Tokio weg, geht es zügig voran: Tiefes Aufatmen, als wir unseren Weg durch die wunderschöne Gebirgslandschaft westlich von Tokio bahnen, und der Fujiyama grüßt hinter jedem zweiten Tunnel.

Die erste Sehenswürdigkeit, die Ritterburg von Matsumoto in der Präfektur Nagano, absolvieren wir ohne Probleme: Großzügige Parkplätze, geringe Eintrittspreise, ein individueller Führer nur für uns – ein strahlender Pensionär mit rührendem Englisch, der sich über das alte Wortspiel „Ohio“ (Pattys Heimatstaat) und „ohio gozaimas“ (guten Morgen auf japanisch) ausschüttete vor Lachen. Bei der Inspektion der aus Holz gezimmerten Ritterburg wird einem schlagartig klar, daß sich Japan noch vor 150 Jahren, als ein gewisser Commodore Perry mit seiner schwarzen Flotte bei Shimoda an die Tür klopfte, auf einem Entwicklungsstand irgendwo zwischen Steinzeit und Mittelalter befand.

Danach bequeme Weiterfahrt auf guten Nebenstraßen zur Künstlerstadt Obuse mit Boutiquencharakter und wiederum unerwartet guter touristischer Infrastruktur: Wir waren mitten auf dem Land und fühlten uns meilenweit von Tokio entfernt (was wir auch tatsächlich waren). Im Museum des Wellenmalers Hokusai: Ganz beeindruckend sein Chrysanthemen-Diptychon im Original und auf Rolle gehängt, vor dem man unwillkürlich kleben bleibt wie vor einem Grünewald oder einem da Vinci.

Hinterher noch ein Probiererle in der Gaststube einer gediegenen Sake-Brennerei: Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Es war ja immerhin schon fünf Uhr! In Tokio macht dies keinen großen Unterschied, auf dem flachen Land wird es dann allerdings zappenduster und etwas unübersichtlich. Die erste Übernachtung hatten wir – aus Respekt vor den japanischen Reise-Usancen – im Voraus gebucht: Einen kleinen Ryokan (traditioneller japanischer Gasthof) in einer kleinen Badestadt am Fuße der Berge, der von einem australischen Reiseführer warm empfohlen wurde („englischsprechender Wirt und Zen-Meister gibt Unterricht im Bogenschießen“)

Wir hatten allerdings noch ein Stück Fahrt vor uns in der Dunkelheit. Leider waren die meisten Straßenschilder jetzt nur noch japanisch beschriftet. Die Landstraßen, die jetzt wieder durch verdichtetes Gebiet führten, waren plötzlich ziemlich eng. Die lückenlosen Bordsteinreihen, welche die enge Fahrspur links und rechts von einem schmalen Fußpfad trennen, haben eine Höhe von geschätzten 25 Zentimetern, was beim Aufsetzen bleibende Schäden am Chassis zur Folge hätte. In dem engen und dunklen Kanal müssen wir aus der landesüblichen Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h immer wieder scharf abbremsen, um den Aufprall mit entgegenkommenden, unbeleuchteten Rollstuhlfahrern und Schulkindern abzumildern.

Schließlich erreichen wir Yudanaka-Onsen. Die Stadt entsprach auf den ersten Blick nicht unseren Bilderbuchvorstellungen eines Thermalbadeortes: Eine gewisse Lieblosigkeit im Detail ließ sich auch bei Dunkelheit nicht verstecken. Immerhin würde sich der Ort gut als Kulisse für einen europäischen Nachkriegs-Film eignen. Zum Beispiel Erster Weltkrieg.

Als wir beim Bahnhof mit dem abgeblätterten Holzdach angekommen waren, stellte sich das nächste Problem: Japanische Gasthöfe haben keine Gasthofschilder. Und außerdem gibt es in Japan keine Straßennamen. Das Nummerierungssystem der japanischen Städte, von einem buddhistischen Mönch im - dreizehnten Jahrhundert etnwickelt, reiht Häuserblocks und Häuser scheinbar willkürlich aneinander. Wenn ein Japaner eine ihm unbekannte Adresse aufsucht, bekommt er deshalb meistens eine schematische Karte in die Hand gedrückt, die er dem Taxifahrer überreichen kann. Dort sind dann wichtige Orientierungspunkte groß hervorgehoben: „Blaue Brücke“, „dritter McDonalds auf der linken Straßenseite“, „Eiffelturm“ etc.

Als wir den Ryokan schließlich über die nur in Bruchstücken verstandene telefonische Anweisung („Brücke an der Biegung des Flusses...abschüssige Harnleiter...zweite Bretterbude links“) erreichten, erwartete uns der Wirt schon an der Plexiglasschiebetür seiner Bretterbude, sein altes Väterchen verbeugte sich grüßend im Hintergrund. Ein Kettenhund war in der schmuddeligen Lobby des Empfangsbereiches angeleint und sprang aufgeregt auf den eigens für seine Notdurft ausgelegten Erwachsenenwindeln auf und nieder.

Wir waren dennoch froh, reserviert zu haben, denn es hatte sich noch ein weiteres -australisches - Touristenpaar in dieses Etablissement verirrt, mit dem wir das Plumpsklo auf dem Flur teilen durften. Unsere Kammer hatten wir allerdings ganz für uns alleine. Sie war aus Faserplatten mittlerer Dichte gezimmert. Um dem Türrahmen die zur Schließung notwendige Stabilität zu verleihen, hatte man für den Pfosten auf der Schloßseite einen unbehandelten Espenast ausgewählt. Der vorherrschende Farbton der Aussenwände war Lebkuchen. Die Futons waren auf den Tatami-Matten schon liebevoll ausgerollt, wir wickelten uns in die zeremoniellen Jukatas, tranken von der aufgebrühten Zigarrenasche und ließen uns erschöpft zu Boden sinken.-

Am nächsten Morgen dann das böse Erwachen: Erstens taten von dem Auf-dem-Boden-Schlafen mal wieder alle Glieder weh, und zweitens gab’s kein Frühstück. Nur die Australier bekamen was zu Essen; in der Aufregung hatten der Wirt und sein altes Väterchen vergessen uns zu fragen, ob wir auch was wollten.

Wir zogen uns in die Schmollecke zurück, in der glücklicherweise ein Gemeinschafts-Badezuber mit Thermalwasser untergebracht war. Bis zur Halskrause ließen wir uns in den nach Geschlechtern getrennten Becken ins heiße Wasser sinken. Erfrischt, entspannt und mit der Welt versöhnt packten wir danach unsere Sachen und machten uns wieder auf den Weg. Der Kettenhund sprang erregt auf den Windeln, die inzwischen Gebrauchsspuren auswiesen, auf und ab. Herzlich verabschiedete uns der Wirt, dessen kleines Väterchen inzwischen zum Mütterchen mutiert war – kein schlechter Trick!

Samstag, 29. November 2008

Ginko – guck mal wer da bei der Bank vorspricht

Ginko ist japanisch und heißt Bank. Gestern nachmittag um 15:20 Uhr schlenze ich mal wieder durch die Gänge von Roppongi Hills in Richtung Ginko. Im Hintergrund plätschert Carla Bruni aus allen Lautsprechern. Mit einem großen weißen Zettel in der Hand kurve ich an den vier Geldautomaten und dem Uniformierten der Shei-sen Bank vorbei in den Schalterbereich. Zu viert stürzen sich die netten jungen Damen auf mich nach dem Motto: Na, womit können wir Dir heute wieder Deinen Tag versüßen? Die Filialleiterin wartet an der Seite, um im Notfall einzuspringen.

- Ich möchte gerne 300.000 Yen überweisen, an den Zahnarzt meiner Frau. Die hat nämlich eine Spange gekriegt.
- Wohnt der Zahnarzt in Japan?
- Ja!
- Aha, eine Inlandszahlung. Da haben Sie leider Pech! Inlandszahlungen werden nur bis 14:30 Uhr angenommen! Haben Sie denn die Geheimkarte mit der Zahlentabelle?
- Nein, hab ich nicht. Aber guckt mal, hier ist meine Automatenkarte, und den Geheimcode weiß ich auch! (triumphierend)
- Tut uns leid, geht nicht. Nur mit der Geheimkarte können Sie Internetzahlungen machen
- Ich will gar keine Internetzahlung machen. Ich gebe lieber hier bei Euch meinen Zahlungsauftrag persönlich ab, das geht viel schneller. Und ihr seid immer so nett. Kann ich den Auftrag denn nicht heute nachmittag schon für morgen abgeben?
- Nein. Nur bis 14:30 Uhr. (Und dann im Chor) Tuut uns ja sooo leeeiiid! Aber zeigen Sie mal her. Ist der Name des Zahnarztes in der Silbenschrift Katakana geschrieben?
- Der Name der Praxis steht in der Silbenschrift Katakana drauf, der Name des Zahnarztes sogar in der Symbolschrift Kanji! (auftrumpfend)
- Das geht leider nicht! Wir brauchen auch den Namen des Zahnarztes in der Silbenschrift Katakana!
- Ja was denn, das könnt Ihr doch nicht machen! Der Name der Bank ist in der Symbolschrift Kanji, die Filiale in Kanji, die Kontobezeichnung in Kanji, das ist doch verdammt noch mal Eure nationale Schrift (die ich auch nicht ansatzweise lesen kann), wieso muß dann der Name des Empfängers jetzt ausgerechnet in der Silbenschrift Katakana dastehen???
- (Im Chor) Tuut uns ja sooo leeeiiid!

Die Filialleiterin gesellt sich hinzu und nickt zustimmend. Ich gebe klein bei:
- Also gut, dann ruf ich jetzt meine Frau an, und die ruft den Zahnarzt an und fragt ihn, ob sein Name unbedingt draufstehen muß und wie er ihn in der Silbenschrift Katakana schreibt, und morgen komme ich wieder!
- OK, und nicht vergessen: Vor 14:30 Uhr!
- Also, alles klar Ihr Lieben. Bis morgen dann! Tschüß!
- Halt, Entschuldigung, kommen Sie doch bitte noch mal her!
- Was ist jetzt noch?
- Also, Entschuldigung, aber der Name des Zahnarztes, ja?
- Ja?
- Können Sie den bitte freundlicherweise in der Silbenschrift Katakana schreiben?
- ???

Ich verneige mich ohne weitere Gegenrede vor den vier grinsenden jungen Damen, dann vor der Filialleiterin, und erwidere auch noch – mit der mir inzwischen erwachsenen asiatischen Seelenruhe – den Gruß des vor den vier Geldautomaten postierten Blauuniformierten mit der schicken Schirmmütze.

Nach einem Jahr kenne ich die meisten der Zeichen der Silbenschrift Katakana – das sind ja nur 46. Im Gegensatz dazu hat die Symbolschrift Kanji, die japanische Variante der chinesischen Schrift, bis zu 80.000 Zeichen. Knapp 2.000 davon muß jeder japanische Schüler im Laufe eines harten Schülerlebens erlernen. Das Entziffern eines Kanji-Zeichens, welches bis zu sechs verschiedene Aussprachen und – je nach Zusammenhang – bis zu 60 verschiedene Bedeutungen haben kann, entspricht im geistigen Anspruch mindestens der Lösung einer Denksportaufgabe im hessischen Mathematik-Abitur.

Sie Silbenschrift Katakana ist aber noch machbar, und von der auf der Rechnung stehenden lateinischen Umschreibung leite ich den Namen des Zahnarztes in diese Silbenschrift um. Mit meinem Gekrakel mache ich mich am nächsten Tag auf den Weg zur Shei-sen Bank.

Die junge Kollegin mit den guten Englischkenntnissen ist wieder da.
- Hallo, haben Sie den Namen des Zahnarztes auch in Katakana geschrieben?

Stolz zeige ich ihr meinen Zettel mit dem Gekrakel.
- Gut, dann füllen Sie bitte dieses Überweisungsformular aus. Und: Geben Sie uns bitte Ihre Telefonnummer? Wenn irgend etwas nicht klappt, werden wir Sie anrufen!
- Sie können mich jederzeit anrufen, auch wenn alles klappt!
- Sie Schelm! Bitte geben Sie mir noch die Rechnung des Zahnarztes und den Zettel mit Ihrem Gekrakel.
- Wieso?
- Darf ich den Zettel Kopieren? Falls etwas mit der Zahlung schiefgeht….

Montag, 13. Oktober 2008

Mabu

"Are you Riehmann Bladder?"

Mein Büro befindet sich im 37. Stock des Mori Tower, welcher das Zentrum von Roppongi Hills bildet. Roppongi Hills ist eine Stadt in der Stadt, fünf Jahre alt, und immer noch das Zentrum der Haute Volé. Neben der größten Fernsehstation und dem größten Kino-Center des Landes beherbergt diese Stadtlandschaft eines der besten Hotels, die exklusivsten Läden, Sterne-Restaurants, Banken, Fitness-Studios, Massage-Salons, und alles was der Mensch sonst noch im Laufe eines Büroalltags zu schätzen weiß bzw. was die mit Bussen anreisenden Touristengruppen, Schulklassen und Pfadfindertrupps zum Staunen bringt. Dadurch daß sich die Gebäude-Landschaft über ein Dutzend Etagen wie eine japanische Burg um den Mori-Tower windet sind die Distanzen kurz; durch eine extrem ausgefeilte, kurzweilige und durchdachte Architektur aus besten, geschmackvollen Materialen (bin ich hier in Japan?) ist jeder Gang durch Roppongi Hills selbst nach einem Jahr noch stimulierend und kurzweilig.

Heute ist meine Stimmung jedoch nicht nur wegen der nicht enden wollenden Finanzkrise gedämpft. Von einem Kollegen habe ich erfahren, daß sich meine Tokioter Lieblingsband, die Silver Beats, getrennt hat. Betrübt latsche ich nach draußen und komme am Haupteingang an dem Steinquader mit der klotzigen Aufschrift „Lehman Brothers“, der immer mehr wie ein Grabstein aussieht, vorbei. Seit einigen Tagen stehen Kamerateams vor dem Gebäude um mit einem der 1300 Angestellten, welche nach der Insolvenz ihres Unternehmens mit gefüllten Aldi-Tüten aus dem Gebäude laufen, ein Interview zu erhalten. „Are you Riehmann Bladder?“ fragt mich der japanische Reporter. Ich verneine dies, soll er doch glauben, daß ich einer der 1500 „Goldmänner“ bin, die ebenfalls im Gebäude arbeiten.

Nach fünf Minuten komme ich mitten im Vergnügungsviertel Roppongi vor dem Cavern Club zu stehen: Im letzten Jahr bin ich mindestens einmal im Monat hier eingekehrt und wurde jedes Mal musikalisch tief befriedigt wieder rausgekehrt. Die Japaner haben ein unglaubliches Talent und einen eisernen Willen zur Kopie und zur Prozessoptimierung. Die vier Jungs, die vor sechs Jahren vom Club-Besitzer unter den besten Tokioter Musikern ausgewählt und als Hausband zusammengestellt wurden, hatten den Beatles-Prozess perfektioniert: Neben den Originalinstrumenten und den maßgeschneiderten Anzügen: Paul immer mit leicht nach oben geneigtem Kopf, Ringo immer mit einem verschmitzt dämlichen Grinsen und perfektem, abwechslungsreichen Schlag, Kubo als George einer der besten Gitarristen Japans, und Mabu als John schon am Rande einer Illusion: Als Halbamerikaner sieht er nicht nur aus wie der junge John Lennon, in dessen Todesjahr er geboren wurde, sondern er hat auch exakt seine Stimme, die natürlich-antrainierte Körperhaltung und den Gitarrenanschlag. Daß der Junge dann auch noch den Keyboard-Part der McCartney-Stücke übernahm und teilweise die Soli von George Harrison spielte grenzte dann schon an der Vorstellungskraft des eingefleischten Beatles-Fans. Wenn Mabu mit verzückt entspanntem Gesicht die Schlußharmonien von „I want to hold your hand“ ins Mikrofon stieß und dabei die Pilzkopfmähne schüttelte, lief auch abgebrühten japanischen Mafiabossen ein kalter Schauer durchs Rückenmark: Du warst mitten in der Beatles-Hysterie der frühen sechziger Jahre.

Die Jungs spielten hier sechs Jahre lang fünf Tage die Woche von abends sieben bis morgens um zwei. Durch die ständige Wiederholung waren die Silver Beats in der Präsentation der Lieder besser, als es die Original-Beatles je sein konnten. Nach einer fulminanten zweiten Tournee durch die Vereinigten Staaten in diesem Sommer haben sie ihren Vertrag noch bis 31. August erfüllt, dann war Schluß. – Ich stehe vor dem lindgrünen Vespa-Rolle aus den sechziger Jahren, der immer vor dem Cavern Club geparkt ist, und spüre ein Gefühl der Leere wie im Frühjahr 1970.

Um mich zu trösteln beschließe ich, indisch zu essen und gehe zu Bernd’s Bar. Lustlos stochere ich in meiner Currywurst herum und nippe an dem viel zu bitteren Jever. Die Alternativen in diesem Restaurant sind auch nicht besser: Es dürfte sich doch inzwischen in Tokio herumgesprochen haben, daß ich nicht auf Hefeweißbier stehe, und auch das klebrige dunkle Köstritzer ist nicht gerade meine Marke. Ich lechze nach einem klaren, frischen Asahi, einem Sapporo oder Kirin! Ich fasse den Entschluss, Bernd demnächst mal vorzuschlagen, doch endlich auch süffiges japanisches Bier in seiner deutschen Kneipe auszuschenken; mal sehen, wie er’s aufnimmt. Das mache ich aber erst, wenn ich wieder gute Laune habe.

Wieder auf der Strasse gehe ich achtlos an den jungen Damen vorbei, deren Aufzug auch in jedem Frankfurter Kontakthof als völlig unauffällig durchgehen würde. Ich meine nicht die Mädels aus den „Hostess Bars“ („dorink and talk only!“), sondern die ganz normalen OLs („office ladies“), deren Pirsch nach jungen Investment Bankern oder Staranwälten, welche noch nicht von der Finanzkrise betroffen sind, etwas schwieriger geworden sein dürfte. – Vor dem Schaufenster des Bentley-Händlers stelle ich fest, daß dieser auch schon auf die Herbstfarben umgestellt hat: Letzten Monat waren noch alle sieben Ausstellungsstücke in der Modefarbe weiß gehalten, inzwischen herrschen wieder erdige Töne vor. Auch der Maserati-Händler nebenan hat inzwischen von aggressivem Gelb auf getragenes Silber umgestellt.

Auf der Rolltreppe schlängele ich mich an dem Typen im blauen Anton vorbei, der den befördernden Personen immer nur sein Hinterteil zeigt; geht auch nicht anders, denn mit dem gesamten Oberkörper ist er über das Gummiband des Handlaufs geklappt um mit einem großen weißen Tuch treppauf treppab die Glasseitenwände des Rollsteigs sauberzuhalten. Seine Kollegin reinigt wie jeden Tag mit einem Spezialgerät die Zwischenräume zwischen den Gumminoppen des Braillebandes, welches sich über alle Laufwege Roppongis erstreckt: Rückstände könnten hier zu Sprachfehlern führen.

Ich setze mich in die nächste U-Bahn und fahre nach Ochanomizu. Ochanomizu ist einer dieser Stadtteile Tokios, die sich auf ein spezielles Gewerbe spezialisiert haben. In Ochanomizu ist es das Musikgewerbe und speziell der Handel mit Gitarren: Es gibt unzählige Gitarrenläden, Tür an Tür, über mehrere Stockwerke, neue Gitarren, gebrauchte Gitarren, billige, teure, eine in der Welt wohl einmalige Auswahl. Ich lande in einem Laden, der nur Linkshändergitarren verkauft. Ehrfurchtsvoll streichle ich über die Fenders, Gibsons und Ovations, die zu hunderten an der Wand hängen. Alle nur für Linkshänder. Vielleicht, wenn sich die Finanzmärkte wieder erholt haben….?

Wieder draußen vor der Tür dasselbe belebte Treiben wie im Vergnügungsviertel Roppongi, nur hier in Ochanomizu mit einer deftigen Prise Studentin und Krankenschwester, da sich hier auch die Universitätskliniken befinden. Ob es hier wohl auch „Hostess Bars“ für Linkshänder gibt? Ich hole tief Luft und entscheide dann, daß ich heute keine Streicheleinheiten mehr verdient habe, daß ich ja eigentlich gar kein richtiger Linkshänder bin, und daß meine Mittagspause auch mal irgendwann zu Ende gehen muß.

Im Büro versuche ich wieder tief Luft zu holen, kann aber nur japsen. Meine Atemprobleme beängstigen mich schon seit einigen Wochen, die haben schon vor der Finanzkrise und vor meine Fuji-Besteigung begonnen, und um 17:00 Uhr beschließe ich dann endlich schweren Herzens und mit schwerer Lunge, die „Roppongi-Hills-Clinic“, eine Gemeinschaftspraxis von Ärzten aller Richtungen hier im Hause, aufzusuchen.

Ohne Warten komme ich sofort in die Konsultation. Die junge japanische Ärztin macht den Eindruck, als wäre Sie im Verlauf des sicher bisher schon achtstündigen Arbeitstages noch nicht in direkten Kontakt mit ihrer Kleidung gekommen. Die kurzen Ärmel des weißes Kittels weisen scharfe Bügelkanten auf, der Blusenkragen steht kerzengerade und blütenweiß in die Höhe, auf ihrem makellosen Gesicht sind weder Falten der Anstrengung noch Spuren von Schweiß auszumachen.

Kaum hat Sie mich abgehört legt Sie mir auch schon einen Ablaufplan vor und übergibt mich nahtlos an die beiden Vorzimmerdamen, die dem klassischen Idealbild einer Krankenschwester aus einem Krankenschwesterfilm entsprechen. Die beiden machen sich unverzüglich an die Arbeit: Die eine zapft Blut („Ich bitte vielmals um Verzeihung“ lautet die Ansage vor dem Piekser) während die Kollegin schon mal die Umlaufmappe für die Kollegen bestückt. Mit einer auf der Einstichstelle angelegten Druckkompresse werde ich an die Röntgenabteilung weitergereicht, wo man mich schon erwartet und schnell zwei Bilder von meiner Lunge anfertigt. Der Kollege von der Lufu wartet schon hinter der nächsten Tür. Er mimt nicht nur die Atemprozedur vor, sondern zieht auch nach erfolgtem Pustetest das von der Krankenschwester vorbereitete Pflaster aus der Umlaufmappe, denn jetzt kann der Druckverband von meiner Einstichstelle entfernt werden. Zurück bei den beiden Schwestern: die eine kniet sich vor mir nieder und entschuldigt sich vielmals dafür, an meinem kleinen Finger einen Sauerstofftest durchzuführen, während die andere den Bleistift zwirbelt.

Die Ärztin erwartet mich schon, und hat auch die Röntgenbilder schon auf ihrem Bildschirm. Ausführliche Besprechung der Ergebnisse, kurze Nachfrage beim Kollegen, ob dem dazu noch was einfällt, Gesundsprechung und Entlassung. Der ganze Prozeß war nach 60 Minuten vorbei, wobei die Zusammenstellung der Rechnung durch die Damen der Buchhaltung noch am längsten dauerte. Außerdem musste ich noch von der Bank auf derselben Etage das nötige Kleingeld abholen, um Honorar von ca. 160 EUR berappen, was ich angesichts des Personal- und technischen Aufwands sowie des auf diesem Gelände üblichen Quadratmeterpreises von 100 EUR für angemessen halte.

Beeindruckt vom japanischen Talent zur Prozessoptimierung im Gesundheitsgewerbe und vergnügt ob des guten Ergebnisses – meine Lunge läuft nach wie vor auf satten 100 bis 130% –- hole ich in der Apotheke auf demselben Stockwerk noch schnell die verschriebenen Psychopharmaka ab, die ich angesichts der günstigen Prognose gar nicht mehr benötige, denn ich bin erst mal wieder von meinem hypochondrischen Anfall erlöst.

Dienstag, 30. September 2008

Auf dem Fujiyama – Guck mal, wer da speit (C’est la vie, say the old folks)

Jeder gesunde Japaner sollte einmal im Leben den Fujiyama – hier Fuji-san genannt – bestiegen haben. Wer zweimal hinaufsteigt, hat einen an der Klatsche – diese Formel hört man im Lande immer wieder.

Da der Berg mit seinen 3.776 Metern ziemlich weit in die Schneezone reicht, ist ein Aufstieg allerdings nur in den zwei Sommermonaten Juli und August ratsam, und nur in diesen beiden Monaten sind die Hütten bewirtschaftet (Gipfelbier!). Schweren Herzens verabschiedete ich mich von meinem zuvor gefassten Entschluß, den japanischen LKW-Führerschein zu machen und buchte stattdessen eine geführte Tour auf den heiligen Berg.

Der Morgen begann zeitig: Treffpunkt 8 Uhr in der Früh nähe Shinjuku Station, mit zwei Millionen Fahrgästen einer der frequentiertesten Bahnhöfe Tokios, heißt für mich Aufstehen um 5:30 Uhr. Im Frühtau bahnte ich mir den Weg zur nächsten Bahnstation; gottseidank kam nach 50 Metern ein Taxi und erlöste mich temporär von der Last meines mit dem Nötigsten bepackten Rucksacks. Noch hellwach hatte ich in Shinjuku nur geringe Probleme, unter hunderten von Bussen den richtigen auszumachen: Ein illustrer kleiner Trupp aus Amerikanern, Kanadiern und Chinesen versprach eine gesellige Besteigung.

Ähnlich wie bei katholischen Pilgerstätten teilt man den Aufstieg auf den heiligen Berg in Stationen, beginnend mit der ersten auf ca. 600 Meter bis zur zehnten auf dem Gipfel. Das Bussle mit uns fünfzehn Besteigern zockelte nun zielgerecht zur fünften Station auf 2.300 Meter über Grund: Dies ist der Ausgangspunkt für die meisten Bestgeigungen, ein Parkplatz für mehrere hundert Fahrzeuge, Restaurants und Andenkenläden, in denen man den zwei Meter langen Pilgerstab aus unbehandeltem Fichtenholz erwirbt, Gelegenheit hat zu einem letzten Bier (vor der nächsten Station), der letzten Toilettenspülung und dem absolut letzten Wassertropfen aus dem letzten Hahn.

Dann beginnt der Fußmarsch in der Mittagshitze auf zunächst leicht ansteigendem Terrain. Die schmerzverzerrten Gesichter der Entgegenhumpelnden hätte uns eine Warnung sein sollen, und bald bogen wir scharf nach rechts in die Kegelwand ein. Für einen Vulkan ist der Berg erstaunlich steil; angeblich weil er noch relativ jung ist und seine Fall-Linie bisher nur von wenigen Ausbrüchen (zuletzt 1707) geglättet wurde.

Inzwischen haben wir uns in der Truppe alle etwas kennengelernt und halten vergnügt das eine oder andere Schwätzchen. Mein Nebensitzer aus dem Bus, David, ist ein netter Missionar aus Seattle, USA. Ich mag ihn, denn erstens ist er noch älter als ich, und zweitens spricht er ausgezeichnetes Schwäbisch und Bayerisch. Wenn wir uns nicht gerade Zitate von Chuck Berry’s „You never can tell“ an den Kopf werfen, können wir uns so in einem Idiom verständigen, das den meisten Mitkletterern nicht so geläufig ist.

Alle sind recht gut in Form und wir machen trotz der Hitze gute Fortschritte im steiler werdenden Massiv. An jeder Station ist gleichzeitig ein Schrein untergebracht, und wenn wir ankommen zückt der am offenen Feuer sitzende Schreine-Priester sein Brenneisen und drückt es auf unsere Pilgerstäbe, um das Etappenziel zu markieren.

Nach knapp vier Stunden erreichen wir auf 2.800 Metern Höhe schon die Nachtstation. Das Festmahl in der Hütte besteht aus der beliebten japanischen Spezialität „Kerireisu“, also Curryreis, das ist ein pampiger Reis mit einer Soße, welche in allen japanischen Restaurants grundsätzlich in drei verschiedenen Brauntönen (Chicken, Beef, Vegitalian) angeboten wird, und in allen Restaurants absolut gleich schmeckt. Ich nehme an, die tiefgefrorenen Plastikbeutel werden irgendwo in Zentralchina abgefüllt (die Japaner haben bei Lebensmitteln eine Importquote von sage und schreibe 60%!). Wir hatten heute „Beef“, d. h. dunkelbraun, und die Soße war von der Variante „komplettverdaut“, d. h. es schwamm kein einziges Fleischstückchen mehr drin herum.

Gegen halb sechs haben wir uns dann nebenan in die Schlafabteilung zurückgezogen. Da liegen nun 50 Hilfsbersteiger mit Ihren Blähungen auf einem Massenlager und versuchen, geräuschlos für Druckausgleich zu sorgen; bei dieser Höhe kein leichtes Vorhaben. David neben mir hat sich schon in Missionareinzelstellung gebracht; ich aber kann beim besten Willen keine Ruhe finden. Mir stößt der „Kerireisu“ heute besonders fies auf, und ich schwöre beim heiligen Fuji, nie wieder welchen zu mir zu nehmen.

Alle Stunde kommt eine neue Reisegruppe an und nistet sich in eines der Nachbarlager ein. Zwischendrin, jedes mal bin ich kurz vor dem Wegnicken, trippelt irgendein blödes Kind (eigentlich sind Japanerkinder ja so süss!) aufgeregt durch den Holzdielengang hinter dem Schlaflager, knallt mit dem Kopf gegen die Wand, läßt die Tür mit einem lauten Klatsch zurückfedern und flüstert seinem auf der Toilette eingeklemmten Erziehungsberechtigten irgendwelche Sachen ins Ohr: Na klar, die Kinder sind aufgeregt – ist wohl das erste Mal , daß sie einen so hohen Berg besteigen dürfen! Um 23:41 nicke ich endlich aus meinen Wachträumen von heißen Duschen und warmen Federbetten in einen ruhigen Tiefschlaf.

Leider war dann um 23:45 Uhr Wecken und Aufstehen angesagt! Ich hatte als einzigen Luxus eine frische Unterhose dabei, und wurde doch tatsächlich mitten im Wechseln, sozusagen in flagranti, vom Hüttenwart verwarnt: Was ich denn täte hier mit meiner Morgentoilette, und um Punkt zwölf hätten wir gefälligst wieder am Berghang zu hängen, das Lager sei ab 24:00 Uhr schon wieder weitervermietet!

Im Raushumpeln schnappe ich mir noch schnell das pauschalgebuchte Frühstück, eine sogenannte „Bento Box“ mit einer Auswahl japanischer Köstlichkeiten (eingelegte Radiergummis, roher Fisch, abgestürzte Bergratten), rieche kurz daran und entscheide ganz schnell, meinen Rucksack nicht mit dieser Aromabombe zu belasten. Der Hüttenwart war sprachlos aber artig, als ich ihm das Paket wieder in die Hand drückte.

Ungefrühstückt, halbverdaut und missmutig reihen wir uns wieder in die Phalanx der Pilger ein. Die Nacht ist wolkenlos aber nicht besonders kalt; trotzdem fahre ich jetzt meine Hosenbeine aus, denn auf dem Gipfel soll ein eisiger Wind herrschen. Wegen der Dunkelheit haben wir jetzt alle unsere Stirnlampen angeschaltet. Nach fünfzehn Minuten Anstieg geben zwei aus der Gruppe auf: Eine fitte kalifornisch-japanische Mutter mit ihrem 10-jähirgen „Nintendo-Kind“; der Kleine war etwas zu gut ernährt für diese Herausforderung.

Nach einer kurzen Unterbrechung setzen wir den Aufstieg fort. Die Luft wird langsam dünner und ich erleide einen ersten Herzinfarkt. Trotzdem laufe ich weiter. Ich vermesse mit gespanntem Blick die steile Wand, die sich vor mir auftut und schaue zum Vergleich nach unten: Es sieht immer so aus, als wären wir genau auf halber Strecke. Verdammt! Der zweite Herzinfarkt! Ob ich das noch schaffe? Ich zähle die Isohypsen zwischen den Hütten, die jeweils im Abstand von 100 bis 150 Höhenmetern angesiedelt sind. Bei der nächsten Hütte bin ich richtig sauer: Es werden 3,250 Meter angezeigt, obwohl nach meiner Berechnung schon 3.400 Meter erreicht sein müssten! Trotzdem lass ich mir einen weiteren Stempelabdruck in meinen Pilgerstab brennen und frage scherzhaft nach, ob hier auch heißer Kaffee serviert wird. Die Antwort ist überraschenderweise „Ja“ und ich leiste mir einen sehr teuren aber ausgezeichneten Heißen Nescafé. Danach fühle ich mich zwanzig Minuten lang wirklich besser, erleide dann aber doch noch einen kleinen Schlaganfall. Neidisch schaue ich auf die siebzigjährigen Japaner, die an der nächsten Kehre eine kleine Zigarettenpause einlegen, während ich hier nach Luft japse.

David und ich halten ganz ordentlich mit, aber lustig ist es inzwischen nicht mehr. Da tauchen plötzlich die Umrisse der Felsen deutlicher auf als zuvor, eine leichtes Morgengrauen deutet sich an, und in der Tat ist auch schon das Shinto-Tor des Gipfels in Sicht- und Reichweite! Wir suchen uns ein gemütliches Plätzchen im Seitenaus und machen uns fertig für den Phototermin: Ein erstes Schimmern am Horizont, ein rotes Lämpchen, dann der goldene Schein über dem Wolkenmeer, das sich lückenlos ca. 1500 Höhenmeter unter uns ausbreitet.

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Der Fujiyama hat mein Leben verändert: Nach der Besteigung stehe ich eine ganze Woche lang jeden morgen um 05:30 Uhr auf.

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Sonntag, 07.09.2008: Einer Meldung der "Japan Times" entnehme ich, daß letzte Woche eine Gruppe von amerikanischen Soldaten den Fujiyama für einen wohltätigen Zweck bestiegen hat. Die vier GI’s sind – wie wir – von der fünften Station bis zum Gipfel aufgestiegen, und dann wieder zur fünften Station zurück – aber sage und schreibe vier (4!) mal, non-stop, innerhalb von 24 Stunden!!! Ich glaub’ ich muß mich übergeben….

Dienstag, 26. August 2008

Der Nachbar leistet sich einklappbare Außenspiegel...

13 Goldene Verhaltensregeln für die Tokioter U-Bahn

1. Wenn die Türe zugeht, geht die Türe zu. Dagegenstemmen ist zwecklos. Eventuell heraushängende Utensilien oder Körperteile werden vom bereitstehenden weißbehandschuhten Personal durch die Gummilippen nachgequetscht.
2. Am besten gleich in die Mitte des zwischen den Sitzreihen liegenden Ganges drücken. Hier steht man in der Regel nur drei Reihen dicht; im Türbereich wird dagegen ohne Rücksicht auf Verluste nachgequetscht.
3. Absolut nie gegen die Tür auf der Trasseninnenseite (Linksverkehr!) lehnen – bei entgegenkommenden Expresszügen (Abstand: 10 cm) kriegt man durch den plötzlichen Luftdruck dermaßen einen an die Birne geknallt, daß man komplett ans andere Ende des Waggons geschleudert wird. An kleinere Erdstöße, die just in diesem Augenblick auftreten können, wollen wir dabei gar nicht denken….
4. Mit einer Hand an irgendetwas stabilem festhalten – Haltegriff oder Stange, aber nicht an der Nachbarin. Freie Hand bzw. Hände nach unten und am eigenen Körper anlegen, Handinnenflächen nach innen.
5. Absolutes Kneifverbot. Ansonsten ist jede Form körperlichen Kontakts – auch intensiven – erlaubt, ja unvermeidlich – solange die Hände nicht im Spiel sind!
6. Blickkontakt meiden. Am besten auf das Ohrläppchen des oder der Nächststehenden konzentrieren. Wenn da keine mehr sind (Ohrläppchen), schnell weggucken.
7. Unter keinen Umständen irgendwelche Kleidungsstücke anderer Fahrgäste glatt-, gerade- oder gar hochziehen.
8. Nie zu zweit ins Gepäcknetz legen – wenn Du unten liegst, kommst Du nie wieder raus!
9. Klappe halten.
10. Durch die Nase atmen.
11. Mobilteil rausholen, mit der Rückseite gegen die Stirn des Nachbarn halten und durch die Fernsehkanäle klicken. Beim Sportkanal hängenbleiben.
12. Nicht auf die Uhr schauen. Keine Bahn der Welt fährt auch nur eine Hundertstelsekunde schneller, nur weil ein Fahrgast auf die Uhr schaut. Außerdem ist die aktuelle Uhrzeit immer sehr gut durch die frischpolierte Lunette der Rolex am Arm des Stehnachbarn / der Nachbarin abzulesen.
13. Beim Halt an der Station gehört es sich, dem Bahnpersonal beim Abhängen der Kinder und anderer kleinwüchsiger Fahrgäste von den an den Querstangen angebrachten Halteschlaufen behilflich zu sein. Die meisten plumpsen allerdings von alleine runter und müssen dann wieder aufgehängt werden….

Dienstag, 5. August 2008

Der Sommer in Tokio wird langweilig - vielleicht sollte ich doch noch den LKW-Führerschein machen?

LH 710 (und Deutschland) Revisited

Nach zehn Monaten in der Fremde erreicht man ungewollt diesen inneren Balancezustand: Man hat sich in die örtlichen Gegebenheiten eingewöhnt und tendiert dann dazu, eher in der alten Heimat etwas zu fremdeln.

Auf Geschäftsreise im Mai: Die Anfahrt zum Flughafen Narita wie immer sehr aufwendig: Da wir am südlichen Ende Tokios wohnen, müssen wir hierzu die ganze Stadt durchqueren. Der Flughafen ist dann weit außerhalb im Norden der Insel, in München würde man sagen: Ingolstadt, oder Erding. Der Flughafen-Express fährt zwar non-stop vom Tokioter Hauptbahnhof und braucht exakt eine Stunde. Aber wer wohnt schon am Tokioter Hauptbahnhof? Also für mich heißt das: Abflug 9:30 = Aufstehen 3:45.

Der Flughafen Narita selbst ist riesig aber übersichtlich, zweckmäßig und mit breiten Verkehrswegen ausgestattet. Das Einchecken ist in Sekunden erledigt, das Personal ausgesucht freundlich und hilfsbereit, und in guter Stimmung mache ich mich auf den Weg zur Lounge, für die ich eben einen Gutschein erhalten habe. Auf dem Weg dahin durchquere ich einen langen Tunnel, eine geschmackvolle architektonische Meisterleistung in gediegener Ausführung, mit schönen Pflanzen ausgestattet und mit 800 Metern Länge, die die beiden Flügelendpunkte des V-förmig angelegten Terminal 1 unterirdisch verbindet. Seltsamerweise bin ich der einzige Passagier, der sich hierunter verirrt hat. Als einzige andere Lebewesen in dieser Raumstation erspähe ich zwei Wachleute (mit den Leuchtschwertern der Jedi-Ritter) die damit beschäftigt sind, die Länge des Tunnels von entgegengesetzten Enden auf und abzuschreiten. In der Mitte, wenn sie sich begegnen, grüßen sie sich jedes Mal höflich. In einem Zustand entspannter Ruhe schwebe auf dem endlos langen Förderband nahezu lautlos an den Jedi-Rittern vorbei.

Mit dem eben erhaltenen Gutschein mache ich mir’s dann bis zum Abflug im gediegenen Ambiente der ANA-Lounge bequem und genehmige mir zum zweiten Frühstück eine Pilzcremesuppe, die sich gewaschen hat. Dies hätte ich lieber nicht tun sollen, denn am Flugsteig überrascht mich die nette Dame von der Lufthansa mit einem Präsent: Einem Sitzplatzwechsel in die 1. Klasse, und das bedeutet in 1. Linie eins: Kulinarische Verwöhnung! –

Ansonsten finde ich den Unterschied zur Business marginal: Die Sitze kommen mir unwesentlich größer vor, die Bildschirme sind sogar kleiner, und wenn man wie ich am Fenster sitzt, kann man wegen mangelnder Kopffreiheit nicht mal gerade aufstehen; dazu ist man im 1.Stock der 747 zu nahe an der Wölbung. Aber immerhin wird man während des gesamten Fluges mit Namen angesprochen, kriegt eine rote Rose vor den Sitz gesteckt und zur Begrüßung erstmal Kaviar und Champagner. Ich vertage also meinen Entschluß, während des Fluges Gewicht zu verlieren, auf den Rückflug.

Neben mir sitzt Herr S., ein älterer Herr mit angenehmen Umgangsformen, mit dem ich sehr schnell ins Gespräch komme. Herr S., der in den 60er Jahren ein bekanntes deutsches mittelständisches Unternehmen gegründet hat, ist ausgesprochener Japan-Freund: Seit vierzig Jahren kooperiert er mit japanischen Geschäftsfreunden und hat viele Partnerschaften zwischen regionalen deutschen und japanischen Wirtschaftsverbänden initiiert. Als Dank hat er sich eben den rosa Orden der aufgehenden Sonne beim japanischen Finanzminister abholen dürfen (der Tenno verleiht Orden nicht persönlich an Außerjapanische). Seit seiner Pensionierung vor 15 Jahren, mit 73, lernt Herr S. intensiv japanisch.

Da Herr S. den Pool mit Gegenstromanlage in seiner fränkischen Villa vermißt, steht er öfter auf und wandert ziellos durch die Gegend, um in Form zu bleiben. Ich bewundere seine Gewandtheit im Umgang mit Menschen, sprich hier mit dem fliegenden Personal, und frage mich, ob er dies seiner Japan-Affinität zu verdanken ist oder ob dies eine Generationenthema ist? Statt sich über das völlig zerbratene, zähe Steak, das man ihm serviert hat, zu beklagen, macht er den Lufthansen Komplimente ob des guten Service (Antwort: „Klar, wir sind ja auch vom Fach!“)

Nachdem wir die aktuellen wirtschafts- und finanzpolitischen Themen abgehandelt haben schwärmt mir Herr S. von der ersten Klasse von vor zwanzig Jahren vor (Bett im Oberdeck, Sessel im Unterdeck, Zwischenlandung am Eismeer und Aufnahme von zu sofortigem Verzehr geeigneter Meeresspinnen). Die Zeit vergeht wie im Flug, der viel zu kleine Fernseher bleibt ausgeschaltet. Erst in den letzten Flugstunden nehme ich meine Arbeitslektüre aus der Tasche; leider funktioniert aber die am Sessel angebrachte Leselampe nicht. Ich wende mich an den nächsten Luft-Hans:
- Würden Sie mir bitte zeigen, wie man die Leselampe einschaltet?
- Die funktioniert nicht. Die funktionieren hier alle nicht, in der ersten Klasse. Es handelt sich um eine Fehlkonstruktion!
- Aha. Vielen Dank!

Die Deutschen bauen die besten Autos der Welt, für die Wohnhäuser gilt wohl dasselbe, und auch das Frühstücksbuffet mit frischen Semmeln, Aufschnitt und Nutella deklassiert das handelsübliche japanische Morgenmahl aus Reis, rohem Ei und fermentierter Sojamilch um Längen. Bei den deutschen Flughäfen sieht’s aber ziemlich bös aus. Ich überlege mir, ob ich einen Brief an die Fraport AG absetzen soll mit folgendem Verbesserungsvorschlag: Abriß des gesamten Frankfurter Flughafens und Neubau durch ein japanisches Unternehmen. Bestückung ausschließlich mit japanischem Personal.

Bei der Rückkehr in die Heimat bin ich etwas überrascht, dass in Deutschland nicht mehr wie früher die meisten Konversationen mit „Ich bitte um Verzeihung!“ beginnen und mit „Verbindlichen Dank auch!“ enden. Sollte sich da was geändert haben?

Am Abend vor dem Rückflug ziehe ich mir die Anne-Will-Schow am Sonntagabend rein und schlafe danach sehr unruhig. Auch das Morgenprogramm des Radioweckers mit der aktuellen HR-Info-Berichterstattung zur Telekomabhöraffäre („klaffende Gesetzeslücken“, „die Menschenwürde in Gefahr“) sorgt bei mir für weitere innere Spannungen.

Etwas genervt mache ich mich mit meinen beiden Koffern (die Hinzunahme eines zweiten, kleineren Koffers war notwendig geworden, um meine Tokioter Nutellavorräte aufzustocken) auf den Weg zur U-Bahn. Angesichts neu aufgetretener Zukunftsängste beschließe ich, das Geld für das Taxi zu sparen – genügend Zeit habe ich ja, und von der Frankfurter Hauptwache fahren die S-Bahnen zum Flughafen ja bekanntlich alle zwanzig Minuten.

Als die S-Bahn dann 25 Minuten nach der geplanten Abfahrt immer noch nicht an der Hauptwache eingetroffen ist, fangen die sprichwörtlichen Eierkohlen unter mir an zu glühen. Seltsamerweise erfolgt keinerlei Durchsage, die Schaltzentrale in der Mitte des Bahnsteigs ist seit Jahren unbesetzt und verwüstet. Verzweifelt wende ich mich an einen schwarzen Scheriff, der den Zugführer der nächsten S-Bahn zu Herunterkurbeln seiner Scheibe bewegt: Ja, er hätte im Rückspiegel eine Flughafen-S-Bahn gesehen, es könne sich nur noch um Minuten handeln.

Als die Bahn dann mit 30 Minuten Verspätung eintrudelt, hat sich erheblicher Nachholbedarf angestaut. Blöderweise ist dann auch noch gerade der Waggon, vor dem ich stehe, wegen Vandalismus gesperrt. Ich hechte also mit meinen beiden Koffern zum nächsten, der dann wirklich gut besetzt ist; aus Tokio bin ich ja Gedränge gewöhnt! Allerdings ist das Publikum sehr gemischt, und ein Großteil der Fahrgäste sieht aus, als trage er sich mit ernsthaften Gedanken, diesen Waggon auch noch dem Vandalismus anheimzugeben.

Als ich dann mit erheblicher Verspätung in den freundlichen Hallen des Flughafen-S-Bahnhofes ankomme, ist meine Freude ob der gesparten 30 Taxi-Euro komplett verflogen und ich befinde mich in Panikstufe 1: Nach meinen Düsseldorfer Gesprächen habe ich davon auszugehen, daß ich am Morgen nach meiner Ankunft eine wichtige Mitteilung in der Tokioter Zweigstelle zu verlesen habe; ich darf also meinen Flug auf keinen Fall verpassen!

Der Business-Class Check-In der Lufthansa war vor fünf Monaten noch ganz am Ende der Halle A; als ich dort ankomme stelle ich fest, daß dort nun nur die erste Klasse Passagiere einchecken dürfen. Ich schleppe meine Sachen also wieder den halben Weg zurück; dummerweise hat sich aber beim Business Class Schalter eine lange Schlange gebildet. Die zur Koordination der Schlange abgestellte Dame ist jedoch sehr hilfsbereit:
- Haben Sie eine goldene Senatorkarte? Dann können Sie auch bei der ersten Klasse einchecken!

Ich hechte also die 100 Meter zurück zum 1. Klasse Check-In: Drei freie Schalter, jeder mit einer roten Rose bestückt und einer aufgeräumten Lufthansin dahinter! Erleichtert wuchte ich den ersten Koffer aufs Gepäckband und zücke meine Karte. Daß sich diese dann als silberne Frequent-Flyer-Karte (≠goldene Senatorkarte) entpuppt, wäre mir jetzt gar nicht aufgefallen; Lufthansinnen können aber auch streng sein, und die meine schien überhaupt nicht in Verhandlungslaune: Ich hätte doch theoretisch noch genug Zeit! Unter Verzicht auf größere Diskussionen – die sicher damit geendet hätten, dass ich Ihr geraten hätte, sich ihre rote Rose doch sonstwohin zu stecken – rase ich zurück zur Business Class und stelle mich ans Ende der noch weiter gewachsenen Schlange.

Warum geht’s nicht weiter? Nun, der gesamte Gepäckaufgabebereich ist von einer russischen Großfamilie blockiert, die eben ein Kaufhaus auf der Zeil leergekauft hat und nun damit beschäftigt ist, ihre Riesenkoffer umzupacken und alles als Handgepäck zu deklarieren. Da ist kein Durchkommen. Aber links von Ihnen erspähe ich drei weitere Lusttransen an drei freien Schaltern, die sich gerade gelangweilt die frisch gemachten Nägel trocknen. Unerschrocken mache ich die Obertranse auf diesen Leerlauf aufmerksam. Jetzt ist es ihr aber doch peinlich. Ganz schnell hebt sie den Sicherheitsbandverschluß an der Seite aus dem 3-Wege-Einhängesystems und läßt den Gurt mit integrierter Rotationsbremse in den Standpfosten des Personenleitsystems schnalzen, um mir und meinen Nutellakoffern den direkten Weg zu den drei nonchalanten Mädels freizumachen.
- Guten Tag Herr K.! Dürfen wir Sie in die erste Klasse upgraden? Das kostet Sie nur 65.000 Meilen!
- !!! Und zwar !!!

Ankunft in Tokio Narita. Schon die Fahrgastbrücke ist mit rotem Teppich ausgelegt. Die höflichen Umgangsformen der Japaner sind eine Wohltat.

24 Stunden später die E-Mail Nachricht auf dem BlackBerry mitten in der Nacht: Mein Arbeitgeber hat beschlossen, das Bankgeschäft und das Wertpapiergeschäft in Tokio komplett einzustellen.

Mittwoch, 21. Mai 2008

Hotel Nikko

Das schönste Hotel meines Lebens befindet sich in Tokio. Das Grand Hyatt hier glänzt mit einem durchgängig stimmigen, sehr dezent japanisch angehauchten Stil, der auf jede Protzigkeit - wie zum Beispiel beim Namensvetter in Shanghai oder beim Peninsula in Hong Kong – verzichtet. Die Restaurants und Bars sind weltklasse – großzügig und anheimelnd zugleich, der Service makellos und doch entspannt, das Essen vorzüglich (der „Executive Chef“-koch heißt Josef Budde und wird auch in der Lufthansa Business Class gefeatured). Die Wohlfühlzimmer in natürlichen Erdfarben haben ebenfalls einen japanischen Stil: Rechteckige schlichte Hölzer, Leinen, hellbrauner Naturstein im Bad. Das Waschbecken aus Glas. Unter der Dschungelbrause nicht der übliche Ausguß, sonder ein seitlich abgehender Wasserfall. Alles paßt sich ins andere ein: Die Toilettentüre in die Wand, das Holzkästchen mit der Teeauswahl in die Schublade, und so richtig satte Matratzen lassen einen schlafen wie ein Murmeltier. Patty, Fritz und ich haben dort vor dem Einzug in unser Tokioter Haus in zwei geräumigen Zimmern zwei angenehme Nächte verbracht.

Das schrecklichste Hotel meines Lebens befindet sich in Nikko, berühmte Tempelstadt mit den drei ebenso berühmten Affen. Wir (Patty, die zwei Jungs - Adrian war auf Besuch da – und ich) hatten übers Internet gebucht und alles sah recht gut aus: Ein moderner Ryokan (traditioneller japanischer Gasthof) mitten im großen Park, die wilden Affen rasen durch den Wald, ein Onsen im Freien: Was will man mehr. Nach unserer akzeptablen Erfahrung in Kyoto im Herbst hatten wir auch gleich das Essen auf dem Zimmer mitbestellt. Das Schönste: Die würden uns vom Bahnhof abholen.

Der erste Eindruck von Nikko war nicht so grandios. Gut, wir waren also in drei Stunden mit sechs Zügen 80 Kilometer durch häßliche Landschaft von Tokyo gekommen (hätten doch den Mietwagen nehmen sollen!). Und nach einiger Wartezeit am Bahnhof kommt tatsächlich ein achtzigjähriger mit einem unwesentlich jüngeren klapprigen Kleinbus mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Auf der Fahrt durchs Straßendorf murmelt der zahnlose Geselle Unverständliches über irgendwelche Sehenswürdigkeiten, die nicht direkt ins Auge fallen. Nach unserem ersten, unvoreingenommenen Eindruck könnte man die Stadt im Rahmen einer touristischen Verschönerungskampagne komplett einreißen.

Beim Betreten des ausgestorbenen, etwas sehr lieblos runtergekommenen Hotels wird mir schon schlecht: Ein penetranter Geruch von „wenn man im Schlafzimmer japanisch kocht“ durchsetzt Lobby, Flure und Treppenhaus. Der Alte macht sich schnell aus dem Staube, ihm ist wahrscheinlich auch schlecht geworden. Abends: Zum Glück wird das Essen in einem freien Schlafzimmer serviert - und nicht im Elternschlafzimmer oder dem der Jungs.

Das Essen: Nabe. Nabe ist eine Augenweide, das übliche japanische Sammelsurium an Farbenfreude, kleine Schälchen, roher Fisch hier und rohes Fleisch da, eingelegte Gemüse mit dem Geschmack von eingelegtem Radiergummi, Miso-Suppe aus fermentiertem Soja und ein Schüsselchen Reis. Dazu grüner Tee (warm), schmeckt wie Zigarrenasche (kalt). Der Witz bei Nabe: Man kann einzelne Eß-Komponenten in einer mitgelieferten blubbernden Sojamilch (!) garen. Nachdem ich hiervon den Deckel lupfte, wußte ich auch, woher der Gestank im ganzen Hause kam. Ich versuchte mein Glück trotzdem, konnte mich aber nicht überwinden, meine Zähne in das hierin zur Verwesung gegarte Fleisch zu setzen. Gottseidank war der Kombini („Convenienc Store“) mit preiswerter Schokolade und Bier nicht weit entfernt. – Um ein Haar hätte ich noch in der kleinen, aus den frühen sechziger Jahren und einem volkseigenen Betrieb stammenden Naßzelle über die Kloschuhe gekotzt.

Als wir dann bei Tageslicht das Hotelgelände begehen, trauen wir unseren Augen nicht: Ein aufgegebener Trakt mit blinden Scheiben nebenan, verfaulte Matratzen liegen vor den Fenstern der bewohnten Eigentümerwohnung, eine rostige Müllhalde neben der anderen. Der ehemals schön angelegte Shintoschreingarten überwuchert, verwahrlost. Von einem vor Jahren umgestürzten, auf dem Hoteldach ruhenden Baum hat man einfach die langen Äste abgesägt, damit man drunter durchfahren kann.

Der zweite Eindruck von Nikko war auch nicht so berauschend.

Beim Abschied überreicht uns die nette junge Wirtsfrau im farbenfrohen Kimono handgefaltete, farbenfrohe Origami-Schächtelchen, eins für jeden.
- Haben Sie die etwa selbst gefaltet?
- Ja, ich sitze den ganzen Tag hier an der Rezeption und falte Schächtelchen
Darauf fällt mir nur eine Replik ein,
- Ach ja, warum räumen Sie nicht mal Ihren Müllplatz da draußen auf? Oder schaffen den Baum vom Dach runter? Oder streichen die Wände in Ihren heruntergekommenen, versifften Zimmern, rollen die Futons zusammen und stecken sie sich zusammen mit Ihren blöden Schächtelchen sonstwohin? Aber sie nehmen wohl die selbe Droge wie diese drei Affen da draußen im Tempel, die nichts sehen, nichts hören und NICHTS RIECHEN!!!),
…die ich jedoch auf japanisch leider nicht hundertprozentig und ohne Stocken formulieren kann. Außerdem versuche ich ja immer, als Ausländer einen guten Eindruck in meinem Gastland zu hinterlassen und die Leute so wenig wie möglich am Kimono zu packen und durchzuschütteln.
Ich verneige mich also stattdessen mit einem freundlichen Lächeln und bedanke mich höflich, leicht säuselnd wegen der zugehaltenen Nase. Zum Glück hatten wir die zweite Nacht schon vorher aus Kostengründen (80 EURO pro Nacht und Nase!) storniert….

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Heute morgen auf dem Weg zur Arbeit im Zug: Eine kleine Überraschung und Aufregung. Wir durchfahren das Studentenviertel Gakugei Daigaku („Studiere Kunst Große Schule“ = Kunstakademie). Ein paar Studenten haben sich einen Spaß gemacht und inszenieren auf dem Flachdach eines neben den Bahngleisen liegenden Hochhauses, direkt vor unseren Augen und zum Greifen nah (der Verkehr in Tokio findet auf verschiedenen Ebenen statt: Unser Zug fährt ganz oben) eine Zirkusclownerie: Eine Ballerina, ein Jongleur auf Einrad sowie ein Supermann mit Propellerhelm, der auf einer Schaukel schwingt, winken und lachen dem vorbeifahrenden Pendlerzug zu. Einer der mit dem Gesicht an die Scheibe gequetschten Fahrgäste verliert die Fassung und gibt einen kurzen, schrillen Lacher von sich. Der Rest im Waggon verharrt mit eisiger Miene in ebensolchem Schweigen. Keiner will am nächsten Bahnhof abgeführt werden…

Ich erhole mich in einem kleinen Restaurant und tue mich an einem eingelegten Radiergummi gütlich. Dazu trinke ich einen Tee aus aufgebrühter Zigarrenasche. Das beruhigt.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Der Laden um die Ecke hat allerlei...

Im Land der aufgehenden Tonne

Gleichzeitig mit dem Erreichen des Rekordpreise von 120 USD für die Tonne Rohöl hat Japan Anfang des Monats die Zusatz-Mineralölsteuer aus den siebziger Jahren abgeschafft – das Gesetz lief einfach aus, und die Opposition hat sich vehement gegen eine Verlängerung gestemmt. Kostete der Liter Superbenzin bisher 1.00 Euro, so sind es jetzt nur noch 80 Cent. Der Liter Diesel wird z. Zt. für 65 Cent verkauft. Allerdings will die regierende liberale Partei die Zusatzsteuer am Wochenende wieder einführen und ist dabei, diese Maßnahme „durch das Parlament zu peitschen“ (wie das in der Japan Times immer so nett heißt). Dann kostet der Liter Super wieder einen Euro. Alle horten, nur ich nicht: Wenn ich zur Tankstelle fahre und meinen 200-kilo Motorschlitten betanke, kriege ich von meiner 1000 Yen-Note (6 EUR) immer noch jede Menge Wechselgeld raus.

Überhaupt ist Japan weder besonders teuer noch besonders umweltbewußt. Die Steuerlast hält sich in Grenzen: Die individuelle Einkommensteuer kann – ähnlich wie in Deutschland – bis zu 40 % betragen. Aber die Japaner haben den Soli schon abgeschafft, und in meinem ersten Halbjahr hier lag mein persönlicher Einkommensteuersatz bei 20 % (nationale und lokale Steuer zusammen). Steuern auf Zinseinkuenfte belaufen sich auf 20%, auf Dividenden und Spekulationsgewinne fallen lediglich 10%an. Zusätzlich kann man sich mit verschiedenen Steuersparmodellen den Durchschnittssteuersatz weiter runtermischen: Die Mietkosten der Wohnimmobilie beispielsweise kann der Arbeitnehmer gehaltsmindernd durch die Firma zahlen lassen und entrichtet nur 6,5% Steuern auf den geldwerten Vorteil. Das Beste jedoch: Die Mehrwertsteuer beträgt nur 5 %!

Ähnlich wie die amerikanische Wirtschaft ist auch die japanische in erster Linie eine Binnenwirtschaft: Der Exportanteil am Bruttosozialprodukt beträgt lediglich 20 – 25 %; bei Deutschland sind das 40 – 45 % (klar – sonst wäre Deutschland ja auch nicht Exportweltmeister). Im Endeffekt sind hier viele lokal produzierte Waren aufgrund des riesigen, homogenen Binnenmarktes extrem billig: So kostet ein ordentlicher Regenschirm 3 EUR; Staubsaugerbeutel sind für wenige Cent zu haben (nicht wie bei Miele in Deutschland: 5 Stück für 20 Euro), ein einfaches Fahrrad japanischer Provenienz geht für 60 Euro über den Ladentisch. Ein nagelneues Luxuscabriolet oder ein Luxusvan, jeweils mit Ledersitzen und 3,5-Liter-V6-Motor, ist für einen Golf-Freundschaftspreis von EUR 30.000 zu erstehen. Wie gesagt, Umsatzsteuer nur 5 %.

Die Arbeitslosenquote beträgt 3,8%. Die Personalzusatzkosten liegen bei ca. 14% (Deutschland: 20%, was immer noch sehr gering ist im Vergleich zu den französischen 70% - ohne Beitragsbemessungsgrenze!). Allerdings liegt dafür die staatliche Durchschnittsrente in Japan bei lediglich 500 Euro pro Monat (Deutschland: 1.000). Der fleißige Japaner muß eben noch zusätzlich was zur Seite legen.

Am liebsten baut sich der Japaner von seinem Ersparten eine zugige Bretterbude und reißt sie nach einigen Jahren wieder ein. Oder er lässt sein Geld in den guten Restaurants in Tokio; die wiederum reißen spätestens nach fünf Jahren ihre Avantgarde-Inneneinrichtung wieder raus – ab in die Tonne – und installieren ein komplett neues Dekor.

Gerne lebt der Japaner auch sein Faible für deutsche Produkte aus: Die Marken des Exportweltmeisters sind überall präsent, und dafür wird gerne gutes Geld ausgegeben. Wer sich einen Mercedes leisten kann, kauft sich gerne noch einen zweiten. Porsche, BMW, Audi, aber auch VW sind hier Kultmarken: Ein Gebrauchtwagenhändler um die Ecke hat laufend eine Auswahl an VW 1500ern aus den sechziger Jahren, Variant und Stufenheck, und dazu noch eine ganze Latte Karmann-Ghias. Im Haus muß ist die Kaffeemaschine von Braun sein, die Badezimmerarmaturen sind von Grohe, und wer auf sich hält hat auch die Waschmaschine und den Trockner von Miele. Gern zieht man sich auch den Parka mit der deutschen Flagge am Arm an.

Neulich abends im Restaurant sitzen zwei japanische Studentinnen am Nebentisch, offensichtlich unternehmungslustig und gesprächsbereit. Schüchtern wende ich das Wort an sie:
- Na, wo kommt Ihr denn her, Ihr Süßen?
- Aus Osaka! Und Du?
- Aus Frankfurt.
- Geil! Mercedes!

Samstag, 12. April 2008

Baustile und Baustellen

Morgens auf dem Weg ins Büro komme ich an einer Baustelle vorbei. Man ist mit dem Abriss eines mindestens fünfzehn Jahre alten (!) Mehrfamilienhauses beschäftigt. Vor, zwischen und hinter der Baustelle stehen Männer auf der Straße mit blauen Overalls, gelben Helmen und leuchtenden Jedi-Schwertern, mit denen Sie sämtlichen potentiell störenden Verkehr wegbeamen.

Die Baustelle ist ordentlich und lückenlos mit modularen Bauparavants umstellt. Die Baggerführer tragen weiße Handschuhe und schaufeln mit ihren weißgepunkteten rosaroten Baggern (in Japan übrigens kein eindeutiger Hinweis auf sexuelle Orienierung) das Abrißgut in die bereitstehenden, blitzblank geputzten Chromlaster. Ein Kollege spritzt mit dem Schlauch den ganzen Tag die Straße sauber, damit da auch kein Dreck hinkommt. Nach dem Shintoismus ist die innere und äußere Reinheit ein erstrebenswerter Zustand.

Was wird wohl als nächstes kommen? Die vorwiegend in Japan eingesetzten Baumaterialen sind Kunststoff, Blech, Eternit, Wellblech, Klinker (grau, braun, weiß), Kunststoff, Gipsplatten (grau, braun), Schwemmholz, Gummi sowie verschiedene Kunststoffe. Rost wird als stilbildendes Element eingesetzt. Meist werden jedoch alle Metallteile durchgängig mit Kunststoff beschichtet. Nur die Schrauben läßt man als weiteres stilbildendes Element rausgucken. Hochwertige Wohnhäuser werden in unbehandeltem Beton ausgeführt.

Die Wände der Häuser sind dünn, Fenster und Türen labberig. Fensterläden sind selten. Fenstersimse: Fenstersimse? Bis einer das Gegenteil behauptet behaupte ich, daß Fenstersimse als Baustandard grundsätzlich nur in deutschsprachigen Ländern üblich sind.

Stil: Man kann eigentlich nicht sagen, dass japanische Häuser hässlich sind. Es drückt sich aber eine gewisse ästhetische Hilfslosigkeit aus. Eigentlich möchte ich schon sagen, dass japanische Häuser hässlich sind.

Als verbindendes Stilelement hat man erfolgreich versucht, jedes Haus mit jedem anderen Haus mit möglichst vielen Kabeln zu verbinden. Damit es beim nächsten Erdbeben so richtig zischt.

Letzte Woche hat die Japan Times über Erdbeben-Szenarios der Regierung berichtet. Die Verwaltung prognostiziert, dass bei einem Erbeben der Stärke 6 sehr viele Menschen in Tokio ihre Büros verlassen werden. Man schätzt, dass über einen Zeitraum von 6 Stunden die Menschendichte auf den Straßen der Büroviertel in etwa der eines mittelvollen Vorortzuges entspricht (6 Menschen pro Quadratmeter). Ich habe mich daraufhin entschieden, im Erdbebenfall doch – soweit möglich – in meinem Büro im 37. Stockwerk auszuharren. Einen Helm habe ich – wie jeder andere Mitarbeiter im Büro – im Schreibtisch liegen.

Am Donnerstag ist eine der ca. 20 Haupt-Vorort-Zuglinien wegen Signalstörungen auf der Strecke komplett ausgefallen. Fünf Millionen Menschen kamen mit teilweise stundenlanger Verspätung zur Arbeit. Was machen Japaner, wenn die Bahnlinie ausfällt? Der Bildbeweis in der Zeitung: Eine schwarze Menschenmasse schob sich zu Fuß auf dem Schienenweg in Richtung Innenstadt.

Montag, 31. März 2008

Oh Hanami, oh Hanami...

Männer in Strumpfhosen

Abends in六本木 (Roppongi). Roppongi heißt zu deutsch sechs Bäumchen, obwohl jeder sagen würde, das sieht eher aus wie drei Bäumchen. Der japanische Winter ist noch immer nicht vorbei, und so langsam reicht’s mir mit der Kälte. Hab’ mal wieder den falschen Mantel an, der aber eigentlich für diese Jahreszeit vorgesehen war. Und meine einzige lange Unterhose habe ich vor drei Wochen im Büro gelassen, weil ich in klimatisierten Räumen nur so vor mich hindampfe. Mit schlotternden Beinen quetsche ich mich in die nächste U-Bahn. Ich bin sauer. Und neidisch. Alle haben eine Strumpfhose an, nur ich nicht! Da fällt mir des weiteren auf, dass alle Passagiere dieses Waggons weiblichen Geschlechts sind – nur ich nicht. Unter meiner inzwischen verschweißten Achselhöhle lächelt mir eine etwas kürzer geratene Dame fortgeschrittenen Alters (also gut, sie könnte etwa so alt wie ich gewesen sein) entgegen und deutet auf ein rosa Schild an der Tür: Nur für Frauen, und zwar im ersten Waggon der Züge, die von der Station着t背えこ morgens zwischen 7:30 und 9:00 Uhr und abends zwischen 17: 30 und 19:00 Uhr abfahren. Wie konnte ich dieses Schild nur übersehen haben! Schamesröte steigt mir ins Gesicht. Wahrscheinlich hatte ich mal wieder vergeblich Ausschau nach den verborgenen Maschinengewehren, Knobelbechern und Peitschen gehalten (ich bleibe bei meiner Vermutung: Es muss einen Grund für dieses unmenschliche Gequetsche in den Zügen geben. Menschen verhalten sich nicht einfach und grundlos wie Tiere auf dem Weg zum Schlachthof.) Und doch: waren die Ellbogen bei Einnehmen meines gequetschten Stehplatzes in diesem Waggon nicht tatsächlich spitzer gewesen als in der gemischten Abteilung, obwohl eigentlich mehr Platz war als im Nebenwaggon? Frauen können so kalt sein. Verstohlen quetsche ich mich an der nächsten Station 広尾 (Hiro-o) unter vielen „’tschuldigungs“ und angedeuteten Verbeugungen wieder aus dem Wagen. Hiro-o heisst zu deutsch dicker Schwanz. Hiro-o ist bekannt als der Stadtteil mit der höchsten Ausländerdichte in Tokio, also wird man mir wohl nochmal verziehen haben….

Sonntag, 17. Februar 2008

watashi no uchi wa totemo samui desu. so desu!

- Unser Haus ist verdammt kalt –

Anfang Januar dachte ich noch, ich könnte den gesamten Winter ohne Lodenmantel überstehen: Weit gefehlt. War mal wieder eins dieser Märchen über Japan: Von wegen milder Winter! Fast hatte ich auch verdrängt, dass ich schon seit Mitte Dezember keinen Abend ohne mit kochendem Wasser aufgefüllter Wärmflasche ins Bett gegangen war – eine Routinehandlung, die ich nach 43-jähriger Unterbrechung – wer erinnert sich nicht an den strengen deutschen Winter 1965, wir waren damals noch ohne Zentralheizung – gerne wiederaufgenommen hatte. Die Gummi-Wärmflaschen werden übrigens direkt aus Deutschland importiert und sehen noch genauso aus wie damals, komplett mit der deutschen Aufschrift „Kein kochendes Wasser einfüllen!“.

Ohne jetzt auf die Details japanischer Architektur eingehen zu wollen: In den Wohnhäusern zieht’s in der Regel wie japanische Hechtsuppe. Hat was mit der schlampigen Bauweise und dem Fehlen jeglicher Baustandards zu tun. Wir haben noch Glück: Im Wohn-/Essbereich, also auf unserer vierten Etage, haben wir Fußbodenheizung unter Parkett. Leider hat man bei der Fußbodenheizung jedoch die Toilette auf diesem Flur ausgelassen: Dankbar klammern wir uns deshalb bei jeder entsprechenden Gelegenheit an die beheizte Klobrille!

Außerdem haben wir durchgehend Doppelverglasung an den Fenstern, was hier auch nicht Standard ist, und ich habe im Spätherbst mit dem Schraubenzieher vorsorglich sämtliche zugänglichen Scharniere und Riegeleinschübe so adjustiert, das die Fenster und Türen so gut es geht gegen die entsprechenden Rahmen gedrückt werden (und nicht einfach so bei jedem Luftzug durch die Gegend flattern).

Auf den Etagen 2 und 3, wo sich unsere Schlafzimmer befinden, gibt es nur die Deckenklimageräte, die im Umkehrschub auch Warmluft blasen. Im Eingangsbereich des Erdgeschosses gibt es aber gar keine Heizmöglichkeit; hier war wohl mal die Einrichtung einer Eissporthalle angedacht. Und genau von da unten zieht’s dann kalt durchs ganze Haus.

Der Entschluß war gefasst: Wir machten uns mal wieder auf den Weg zu unserem Riesen-Denki-Laden (Elektrohändler, so ne Art Media-Markt), wo wir schon viele technische Geräte mit nicht entzifferbaren Aufschriften und unleserlichen Gebrauchsanleitungen erstanden haben. Mit wildem Gestikulieren (in die zusammengelegten Hände blasen, Flügelschlagen und auf die Oberarme klopfen, auf und Niederhüpfen) taten wir unser Anliegen kund. Der Verkäufer sprach gutes Englisch, bat uns, mit dem Affentheater aufzuhören, und verkaufte uns aus seinem Riesenlager einen Petroleumofen sowie eine Benzinpumpe.

Als nächstes ging ich dann zur Tankstelle, um Petroleum zu kaufen. Dort fand mal wieder überhaupt keine Kommunikation statt, und aus Angst, mit Benzin statt Petroleum nach Hause zu kommen und letzteres dann versehentlich in die Luft zu jagen, ging ich wieder mit leeren Händen. Patty hat dann am nächsten Tag einen 18-Liter Kanister nach Hause gezerrt (Taxis lehnen bei diesem Transportgut eine Beförderung ab). Einige Tage lang hatte sie danach auch in nüchternem Zustand etwas Schlagseite.

Fritz muß jetzt also alle zwei Tage mit der Pumpe raus, alle vierzehn Tage bestellen wir den Tanklaster (in Smart-Größe), um unsere zwei 18-Liter-Behälter auf zufüllen, und Patty und ich rennen immer rauf und runter um den Petroleum-Ofen an- und auszustellen: Endlich die ersehnte Grundwärme im Treppenhaus, auch wenn 50% der Heizleistung gleich durch die falzlose Haustür wieder nach draußen geblasen wird.

Und genau hier liegt das andere Problem: Auch der Petroleumofen wärmt durch Gebläse und nicht, wie erhofft, durch Strahlungswärme. Der Stahlkörper des Gerätes bleibt auch nach stundenlangem Blasen kalt! Die Wirkung auf unsere Schleimhäute ist eine Verlederung im fortgeschrittenen Stadium (trocken, spröde) und ich musste letzte Woche meine erste Grippe in Japan nehmen.

Also machen wir, was alle Japaner machen: Gestern sind wir wieder zu unserem Lieblings- Denki-Geschäft gehetzt, um uns einen Luftbefeuchter zuzulegen. Der nette englischsprechende Kollege, der noch genau einen Petroleumofen übrig hatte, wusste sofort Bescheid: Leider war jedoch sein gesamtes Luftbefeuchterlager ausverkauft, wir möchten doch bitte im September wiederkommen, meinte er. Ich benutzte allerdings die Gelegenheit und ließ mir von ihm zeigen, wie wir auf unserem Fernseher das Bild von 40 cm (Durchschnittsgröße der letzten vier Monate) auf die 80 cm, die uns technisch eigentlich zur Verfügung stehen, aufblasen können. Es ist ganz einfach: Zuerst drückst Du diese Taste 搤, dann diese 摴, und zum Schluß diese 斈, bis dann dieses Symbol erscheint 无 …..

Zum Glück haben wir im Bahnkaufhaus (die Bahnhöfe hier sind alle Kaufhäuser und gehören den privaten Bahngesellschaften, so locken sie die Landbevölkerung in die Stadt) doch noch einen letzten Luftbefeuchter erstanden. Kein Mensch konnte mir erklären, wie das Ding funktioniert, und da das Produkt nur in Japan vertrieben wird, gibt es auch im Internet keine nicht-japanische Gebrauchsanweisung. Nun, ich habe mal einen Knopf gedrückt und Wasser eingefüllt, es kommt zwar kein Nebel aus dem neonblau beleuchteten Gebläse, aber immerhin kalte Luft, und das eingebaute Hygrometer zeigt schon eine Verbesserung der Luftfeuchtigkeit von 30% (Wüstenqualität) auf immerhin 40%.

So sind wir jetzt also neben der Bedienung von sechs Klimaanlagen, drei Fußbodenheizungen, fünf Ventilatoren und der umständlichen Wartung einer Kerosinheizung auch noch mit dem Nachfüllen, Einstellen und In-der-Wohnung-rumtragen eines Luftbefeuchters beschäftigt.

Nachts im Bett, in meinen Träumen vom Sieg gegen die Jedi-Ritter, begleitet mich jetzt das beruhigende Rauschen meiner neuesten technischen Errungenschaft, und befriedigt schaue ich in die Runde der mindestens vierundzwanzig (wer kann sie noch alle zählen?) Leuchtdioden: Auf den ausgeknipsten Lichtschaltern, den wandmontierten Fernbedienungen für Klimageräte und Lüfter, auf der Anzeige des Luftbefeuchters und des Hygrometers, dann noch der blinkende BlackBerry. Und durch die offene Tür des (unbeheizten) Badezimmers scheint wie eine fliegende Untertasse die high-tech Kloschüssel mit blinkendem Armaturenbrett auf uns zu zuschweben…..

Sonntag, 3. Februar 2008

In Japan ist jeden Tag Karneval...

Die Luft in Tokio ist besser als die Luft in Frankfurt

Sonntag, 12. Januar. Der Nachbar rechterhand hat mal wieder seinen leuchtenden Blaumann angezogen und werkelt seit Stunden am 328i Cabrio seiner Frau rum. Sein Fiat 500 (Baujahr 1965) und der Viertürer Maserati (Baujahr 2000, seltenes Modell, den er vor Weihnachten in einem sechzehn-Stunden Wochenend-Marathon blankgewienert hat) bleiben heute in der Garage. In symmetrischer Anordnung sind rund um den 328er Schüsselschen mit Schrauben, Muttern und Gummimuffen in Position gesetzt. Ich frage ihn scherzhaft, ob er Winterreifen aufziehen will. Hai, hai, meint er, was soviel heißt wie „’türlich“. Seine Frau liege zwar seit einer Woche mit einer mit einer Grippe im Bett, aber für heute Nacht sei Schnee angesagt, und man wisse ja nie. Ich heuchle lächelnd Verständnis. Auf unserer Straße hängen Zitronen- und Orangenbäume voller Früchte, die Kübel- und Topfpflanzen stehen in Hofeinfahrten und am Straßenrand: Ein schöner Anblick auf dem Weg zur Bahnstation in der Früh.

Am nächsten Morgen liegt tatsächlich etwas Puderzucker auf den Dächern. Die Straßen sind völlig frei, und der Nachbar nimmt wie jeden Morgen das Fahrrad zur Arbeit. Die Zitronenbäume und Blumensträucher sind mit Plastikplanen bedeckt.

Die Nachbarin linkerhand fährt übrigens Mercedes. Ich mag sie nicht. wir haben uns nur einmal gesprochen, vor Monaten. Ich stellte mich vor und sagte,
- Hallo, ich bin der neue Nachbar!
Darauf sie:
- Sind Sie Amerikaner?.
Ich:
- Nein, ich bin Deutscher!
Sie:
- Mein Schäferhund ist auch Deutscher, es ist ein deutscher Schäferhund!
Wir haben seither kein Wort mehr miteinander gewechselt. Ich halte es nicht für notwendig, mit ihr eine engere Beziehung aufzubauen.

Sehr angenehm in Tokio: Die Luft hier ist gar nicht schlecht. Dies fiel gleich wieder nach der Landung auf dem weit außerhalb liegenden Flughafen Narita auf, als uns ein laues Frühlingslüftchen umwehte. Aber auch in der Riesenstadt Tokio hält sich die Luftverschmutzung im Rahmen. Ein wesentlicher Faktor: In Japan gibt es keine Diesel-PKWs. Man bevorzugt außerdem großvolumige Motoren und fährt meist recht defensiv, so dass der Verkehr – mit Ausnahme der Hauptstraßen – eher flüsternd wahrgenommen wird. Obendrein sind ja auch die beliebten Motorroller inzwischen fast alle mit blubbernden Viertakter-Benzinern ausgestattet. Das Ganze eine Wohltat für meine empfindlichen Ohren und für meine empfindliche Lunge.

Samstag, 18. Januar. Der Nachbar hat wieder seinen leuchtenden Blaumann an. Das 328er Cabrio ist heute wieder an der Reihe. Er zieht die Sommerreifen auf.

Sonntag, 3. Februar. In ganz Tokio Schneematsch. Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich, wie jemand auf einer Strecke von 50 Metern Buckel mit seinen Halbschuhen den Schneematsch zum Straßenrand schiebt. Ohne ersichtlichen Grund. Für die Busse kanns nicht sein, denn die haben auf einmal alle Schneeketten und fahren nur im Kriechtempo. Ich fahre fröhlich mit meinem Roller zum Thermalbad, mit Schihose und Helm fühlt sich’s warm und wohlig an. Zum ersten Mal leere Straßen: In fünf Minuten bin ich da, zu Fuß wär’s ‚ne halbe Stunde gewesen.

Sonntag, 13. Januar 2008

Heimaturlaub - LH 710

20. Dezember, beim Anflug auf Frankfurt direkt übers eigene Haus geflogen. Gewunken. Ankunft am Frankfurter Flughafen: Immer wieder von neuem desorientierend, wieso stellen die hier keine klaren Schilder auf, geht’s jetzt vom Flugsteig nach links oder nach rechts? Und wieso riecht’s hier immer abwechselnd nach Zigarettenqualm und Jauche? Angenehm: Ich glaube Deutschland ist das einzige Land, wo man bei der Einreise keine Formulare ausfüllen muß.

Auf meinem Blackberry dann die mit Spannung erwartete Nachricht, dass ich die dritte und letzte japanische Fachprüfung bestanden habe. Rosemarie und Adrian erwarten mich schon am Gepäckband, beide schauen gut aus! Es ist ein guter Tag.

Zur Abwechslung mal wieder in einem deutschen Haus: Das Schönste ist, wenn man mitten in der Nacht aufwacht und rumläuft, ist es überall wohlig warm. In Japan schlotterst du mit den Zähnen.

Aber die zwei Wochen geh’n schnell rum. Freitag 04.01. im Wallis: Um 5 Uhr 30 aufgestanden, den Leihwagen vollgepackt (Sixt war äußerst kulant and hat auf halbem Weg in den Süden den viel zu kleinen Focus C-Max ohne Aufpreis in einen A6 Kombi mit Quattro und Topausstattung umgetauscht), auf den bis Bern leeren schweizer Autobahnen mit Tiptronic und 540 Newtonmetern flott vorangekommen. Kurz nach Fribourg der vertraute Blick nach rechts auf Mönch, Eiger, Jungfrau. Patty sitzt links und fährt, hinten geben sich Fritz und sein Freund Luca wieder voll die I-Pod Dröhnung. Ab Basel dann das übliche Gedränge auf der deutschen Autobahn: Bis Baden-Baden nach wie vor die vierspurige Ausbaustufe, Planungsstand von 1928 (HaFraBa – Ha-ha), trotzdem pünktlich um 12 bei Muttern zum Mittagessen: Ungeachtet inzwischen mangelnder Kochpraxis hat sie sich mit Fleischküchle und Kartoffelsalat im Handumdrehen wieder die 5 Sternle der schwäbischen Gourmetküche zurückerobert!

Weitergehetzt nach Frankfurt und am nächsten Tag mittags wieder auf den Flieger. Angenehm: Rückgabe des Leihwagens in Frankfurt direkt neben der Abflughalle, schneller Check-in, dann wieder der Geruch von Jauche und Zigarettenqualm. Bei der Sicherheitskontrolle: Schichtwechsel, also läuft erstmal gar nichts (die Einstellungspraktiken fuer das Flughafen-Sicherheitspersonals und die ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnisse - Leiharbeiter mit Niedrigstloehnen, Vorstufe Hartz IV - sind mir leider aus meiner Bekanntschaft mit der Nürnberger Behörde vertraut. Ich frage mich, inwieweit mit solch demotiviertem Personal die Flugsicherheit erhöht werden soll).

Dann der Flugsteig: Total überfüllt, das Bodenpersonal scheint etwas den Überblick verloren zu haben. Auf drei gleiche Fragen nach den Meilengutschriften bekommen wir drei verschiedene Antworten („Das macht die Kollegin da drüben“; „Ne, das machen wir hier nicht, ist mir egal was die Kollegin am Check-in gesagt hat“; „Also gut, geben Sie her….“ ). Am Snackstand weist eine resolute Südländerin ihre internationale Klientel in vier Sprachen zurecht und macht ihnen auf pampige Weise klar, wie sie sich anzustellen und ihre Bestellungen aufzugeben haben. Ein gutmütiger Amerikaner weist sie höflich darauf hin, dass er sein Brötchen gerne nur mit Schinken, und nicht mit Schinken und Käse hätte, und er meine, dass er auch Brötchen nur mit Schinken auf der gegenüberliegenden Thekenseite gesehen habe. Die streitsüchtige Dame springt von einem Ende der Theke zum anderen, holt links und rechts jeweils ein Schinken-Käse Brötchen raus, streckt sie dem Amerikaner ins Gesicht und schreit ihn an, hier sei alles dasselbe, nämlich Schinken-Käse!! Die Atmosphäre ist aufs Äußerste gespannt, doch kurz bevor die Dame zum finalen Gesichtssprung ansetzt macht der Amerikaner einen Rückzieher und ordert Schinken-Käse. Mit achselzuckendem Grinsen wendet sich die Furie ans Publikum: Seht Ihr, geht doch!

Im Flieger: Viele bekannte Gesichter von der Schule / Kirche in Tokyo und auch ein netter Arbeitskollege aus Düsseldorf. Man fühlt sich schon wieder wie zu Hause. Dann bleibt die Maschine plötzlich auf der Rollbahn stehen: Der Lufthansa-Kapitän informiert, dass man einen Passagier vergessen habe. Die Dame sei nach dem Einchecken eingeschlafen - so was sei noch nie passiert. Statt sich zu entschuldigen (wieso prüfen die denn nicht bevor sie die Klappe zumachen, ob alle eingestiegen sind???) macht er einen ziemlich fassungslosen Eindruck und lässt uns nach typisch deutscher Manier genau wissen, wie es um seine ziemlich beschissene Befindlichkeit steht. Klingt etwas unprofessionell, der Mann. Eine Gangway wird herangerollt, die eingeschlafene Japanerin (ich hab’s ja gesagt, die ratzen wo sie können!) trippelt rauf und wird in die erste Klasse durchgewunken. Dann wird die Gangway wieder abgezogen. Jetzt muß nachgetankt werden, man ist ja schon ne halbe Stunde auf dem Rollfeld rumgegurkt. Also wird die Gangway wieder rangefahren – falls das Flugzeug beim Betanken explodiert, muß wohl ein Rettungsweg gegeben sein. Nach weiteren 30 Minuten meldet sich wieder der Kapitän: Man habe jetzt durch die Verzögerung sämtliche Überflugrechte über Polen verloren und er wisse überhaupt nicht mehr, ob und wann er diesen Flug starten könne. Wir haben den Eindruck, daß der Kapitän ziemlich fertig ist.…

Eine weitere halbe Stunde später heben wir dann doch noch zu unserem Elf-Stunden Flug ab, davon allein acht Stunden über Sibirien: Permafrost mit zu Eis erstarrten Flüssen, teilweise schöne Gebirge, ab und zu eine komplett überfrorene Siedlung. Ich muß an meinen Vater denken, der hier von 1945 bis 1950 fünf furchtbare Jahre im Arbeitslager überlebte.

Ankunft Sonntagmorgen in Narita: Im Vergleich zum Frankfurter Flughafen extrem übersichtlich, klare Verkehrswege, gedämpfte Atmosphäre, saubere Toiletten. Kurze Schlange bei der Paßkontrolle trotz neueingeführter Abnahme von Fingerabdrücken und Aufnahme von Photos, dabei die Hälfte der Anstehenden persönlich bekannt. Die höflichen Umgangsformen des Flughafenpersonals stehen in starkem Kontrast zu dem zwischen Schnippigkeit, Fassungslosigkeit und Desinteresse schwankenden Ton in Frankfurt.

Unsere sechs dicke Koffer sind die ersten auf dem Förderband, und gleich hinterm Zoll steht schon ein weißbehandschuhter Chauffeur mit unserem Namensschild, der sich nach japanischer Manier erst einmal dafür bedankt, daß er uns abholen darf – dabei haben wir ihn doch wegen des Zwischenfalls anderthalb Stunden warten lassen! Er nimmt uns einen Gepäckwagen ab und geleitet uns unter vielen Verbeugungen mit freundlicher Miene zu seinem in kurzer Distanz bereitstehenden Luxusvan. Dort lädt er den ganzen Krempel für uns ein, während wir uns auf die bequemen Sessel fläzen, mit mehr Beinfreihet und einem größeren Fernsehschirm als in der Business Class – und das ganze zum Preis eines Taxis. Hat Patty wieder gut gebucht. Bei frühlingshaften Temperaturen und strahlendem Sonnenschein lassen wir uns auf leeren Straßen ins erwachende Tokio schaukeln – es könnte schlimmere Heimfahrten geben!