Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, im öffentlichen Raum aus Höflichkeit jemandem eine Tür offen zu halten. Man steht dann da den Rest des Tages – der Menschenstrom versiegt nicht.
Der neue japanische Justizminister hat die Hinrichtungsstätten der staatlichen Gefängnisse besichtigt. Er meinte, der Tod durch den Strang, welches die normale, laufend praktizierte Form der Hinrichtung in diesem Land ist, sei nicht „friedlich“ genug. Er wolle sich dafür einsetzen, dass in Zukunft friedlichere Hinrichtungsformen praktiziert würden.
In der U-Bahn heute wieder die übliche Geruchsmischung aus grünem Tee, sauren Gurken und Kuhstall, mit einem Hauch von Mottenkugeln. Die Japaner weigern sich beharrlich, irgendwelche Parfums oder After-shaves aufzutragen. Diese Gerüche sind Ihnen unangenehm. Schon wenn sie am internationalen Flughafen Narita ankommen beklagen sie sich schon: Igitt, hier riecht’s nach Europäern….!“
Ein weiterer, sehr starker Kontrast zur westlichen Welt: Die Japaner strecken nicht selbstbewusst die Brust oder das Kinn raus wie der Amerikaner, oder bewahren zumindest das, was in Europa gemeinhin als „Contenance“ bekannt ist. Nein, der Japaner lässt sich einfach sacken. In gebückter Körperhaltung schleicht er an Dir im Büro vorbei, ohne zu grüßen. Wenn es kalt ist, zieht er sich die vergammeltste Mütze über die Stirn und lässt sie nach hinten über die Schulter lappen (was glaubt Ihr, wo die Hip-Hop Mode erfunden wurde?). Wenn er erkältet ist, zieht er sich einen Atemschutz über Mund und Nase und nimmt das Ding auch nicht ab, wenn er mit Dir redet. Zuletzt gesehen an einem Weihnachtsmann in Roppongi mit Weißer Perücke. Bescheuerter geht’s nicht. Und die Japanerin? Der Rock kurz bis zum Schritt, darüber baumelt eine leichte Schürze, in Europa nur auf Waffenschein (schwerste Gattung) erhältlich, und dann schlurft, strunzt und dackelt sie mit aneinandergeklemmten Knien durch die Designerläden als hätte sie ein Inkontinenzproblem. In der U-Bahn dann sacken Männlein und Weiblein, unabhängig vom modischen Outfit, komplett in sich zusammen nach dem Motto: Jede Minute Schlaf zählt! Man läuft durchs Büro, plötzlich ratzt da einer voll nach vorne über den Schreibtisch gekippt, den Kopf zwischen den gefalteten Armen begraben. Völlig normal, erst heute wieder gesehen. Mittagsschlaf.
Nach vier Monaten komme ich mir vor wie ein Eindringling in dieser Welt. Ich sehe nicht aus wie sie, ich rieche nicht wie sie, ich esse nicht wie sie und ich spreche Ihre Sprache nicht. Peinlich: Ich habe überhaupt kein Japanisch gelernt, außer ein paar Grußformeln, deren ständig wiederholte Äußerungen – aufgrund meiner nicht vorhandenen Alternativen – mir inzwischen selbst peinlich geworden sind, so dass ich meistens gleich Englisch rede. Und die Erkenntnis, dass selbst bei größter Anstrengung die mir verbliebenen Gehirnzellen und die mir verbleibenden Lebensjahre nicht ausreichen würden, um dieses Sprachmonstrum auch nur annähernd zu meistern. Die drei Fachprüfungen im japanischen Bank- und Börsenwesen, die ich inzwischen ableisten durfte, habe ich auf Englisch gemacht. Welches Recht habe ich, mich über diese guten Leute lustig zu machen???
Vor unserem Bürogebäude – Mori-Tower in Roppongi Hills – hat man einen Weihnachtsmarkt nach deutschem Vorbild aufgestellt. In Bretterbuden wird Franziskaner-Weißbier ausgeschenkt und Currywurst verkauft, daneben, beim „Badenser“, gibt es Schupfnudeln mit Sauerkraut. Überall Räuchermännchen aus dem Erzgebirge. Am letzten Stand dann– heißer Frankfurter Apfelglühwein, vom Possmann.
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