Dienstag, 5. August 2008

LH 710 (und Deutschland) Revisited

Nach zehn Monaten in der Fremde erreicht man ungewollt diesen inneren Balancezustand: Man hat sich in die örtlichen Gegebenheiten eingewöhnt und tendiert dann dazu, eher in der alten Heimat etwas zu fremdeln.

Auf Geschäftsreise im Mai: Die Anfahrt zum Flughafen Narita wie immer sehr aufwendig: Da wir am südlichen Ende Tokios wohnen, müssen wir hierzu die ganze Stadt durchqueren. Der Flughafen ist dann weit außerhalb im Norden der Insel, in München würde man sagen: Ingolstadt, oder Erding. Der Flughafen-Express fährt zwar non-stop vom Tokioter Hauptbahnhof und braucht exakt eine Stunde. Aber wer wohnt schon am Tokioter Hauptbahnhof? Also für mich heißt das: Abflug 9:30 = Aufstehen 3:45.

Der Flughafen Narita selbst ist riesig aber übersichtlich, zweckmäßig und mit breiten Verkehrswegen ausgestattet. Das Einchecken ist in Sekunden erledigt, das Personal ausgesucht freundlich und hilfsbereit, und in guter Stimmung mache ich mich auf den Weg zur Lounge, für die ich eben einen Gutschein erhalten habe. Auf dem Weg dahin durchquere ich einen langen Tunnel, eine geschmackvolle architektonische Meisterleistung in gediegener Ausführung, mit schönen Pflanzen ausgestattet und mit 800 Metern Länge, die die beiden Flügelendpunkte des V-förmig angelegten Terminal 1 unterirdisch verbindet. Seltsamerweise bin ich der einzige Passagier, der sich hierunter verirrt hat. Als einzige andere Lebewesen in dieser Raumstation erspähe ich zwei Wachleute (mit den Leuchtschwertern der Jedi-Ritter) die damit beschäftigt sind, die Länge des Tunnels von entgegengesetzten Enden auf und abzuschreiten. In der Mitte, wenn sie sich begegnen, grüßen sie sich jedes Mal höflich. In einem Zustand entspannter Ruhe schwebe auf dem endlos langen Förderband nahezu lautlos an den Jedi-Rittern vorbei.

Mit dem eben erhaltenen Gutschein mache ich mir’s dann bis zum Abflug im gediegenen Ambiente der ANA-Lounge bequem und genehmige mir zum zweiten Frühstück eine Pilzcremesuppe, die sich gewaschen hat. Dies hätte ich lieber nicht tun sollen, denn am Flugsteig überrascht mich die nette Dame von der Lufthansa mit einem Präsent: Einem Sitzplatzwechsel in die 1. Klasse, und das bedeutet in 1. Linie eins: Kulinarische Verwöhnung! –

Ansonsten finde ich den Unterschied zur Business marginal: Die Sitze kommen mir unwesentlich größer vor, die Bildschirme sind sogar kleiner, und wenn man wie ich am Fenster sitzt, kann man wegen mangelnder Kopffreiheit nicht mal gerade aufstehen; dazu ist man im 1.Stock der 747 zu nahe an der Wölbung. Aber immerhin wird man während des gesamten Fluges mit Namen angesprochen, kriegt eine rote Rose vor den Sitz gesteckt und zur Begrüßung erstmal Kaviar und Champagner. Ich vertage also meinen Entschluß, während des Fluges Gewicht zu verlieren, auf den Rückflug.

Neben mir sitzt Herr S., ein älterer Herr mit angenehmen Umgangsformen, mit dem ich sehr schnell ins Gespräch komme. Herr S., der in den 60er Jahren ein bekanntes deutsches mittelständisches Unternehmen gegründet hat, ist ausgesprochener Japan-Freund: Seit vierzig Jahren kooperiert er mit japanischen Geschäftsfreunden und hat viele Partnerschaften zwischen regionalen deutschen und japanischen Wirtschaftsverbänden initiiert. Als Dank hat er sich eben den rosa Orden der aufgehenden Sonne beim japanischen Finanzminister abholen dürfen (der Tenno verleiht Orden nicht persönlich an Außerjapanische). Seit seiner Pensionierung vor 15 Jahren, mit 73, lernt Herr S. intensiv japanisch.

Da Herr S. den Pool mit Gegenstromanlage in seiner fränkischen Villa vermißt, steht er öfter auf und wandert ziellos durch die Gegend, um in Form zu bleiben. Ich bewundere seine Gewandtheit im Umgang mit Menschen, sprich hier mit dem fliegenden Personal, und frage mich, ob er dies seiner Japan-Affinität zu verdanken ist oder ob dies eine Generationenthema ist? Statt sich über das völlig zerbratene, zähe Steak, das man ihm serviert hat, zu beklagen, macht er den Lufthansen Komplimente ob des guten Service (Antwort: „Klar, wir sind ja auch vom Fach!“)

Nachdem wir die aktuellen wirtschafts- und finanzpolitischen Themen abgehandelt haben schwärmt mir Herr S. von der ersten Klasse von vor zwanzig Jahren vor (Bett im Oberdeck, Sessel im Unterdeck, Zwischenlandung am Eismeer und Aufnahme von zu sofortigem Verzehr geeigneter Meeresspinnen). Die Zeit vergeht wie im Flug, der viel zu kleine Fernseher bleibt ausgeschaltet. Erst in den letzten Flugstunden nehme ich meine Arbeitslektüre aus der Tasche; leider funktioniert aber die am Sessel angebrachte Leselampe nicht. Ich wende mich an den nächsten Luft-Hans:
- Würden Sie mir bitte zeigen, wie man die Leselampe einschaltet?
- Die funktioniert nicht. Die funktionieren hier alle nicht, in der ersten Klasse. Es handelt sich um eine Fehlkonstruktion!
- Aha. Vielen Dank!

Die Deutschen bauen die besten Autos der Welt, für die Wohnhäuser gilt wohl dasselbe, und auch das Frühstücksbuffet mit frischen Semmeln, Aufschnitt und Nutella deklassiert das handelsübliche japanische Morgenmahl aus Reis, rohem Ei und fermentierter Sojamilch um Längen. Bei den deutschen Flughäfen sieht’s aber ziemlich bös aus. Ich überlege mir, ob ich einen Brief an die Fraport AG absetzen soll mit folgendem Verbesserungsvorschlag: Abriß des gesamten Frankfurter Flughafens und Neubau durch ein japanisches Unternehmen. Bestückung ausschließlich mit japanischem Personal.

Bei der Rückkehr in die Heimat bin ich etwas überrascht, dass in Deutschland nicht mehr wie früher die meisten Konversationen mit „Ich bitte um Verzeihung!“ beginnen und mit „Verbindlichen Dank auch!“ enden. Sollte sich da was geändert haben?

Am Abend vor dem Rückflug ziehe ich mir die Anne-Will-Schow am Sonntagabend rein und schlafe danach sehr unruhig. Auch das Morgenprogramm des Radioweckers mit der aktuellen HR-Info-Berichterstattung zur Telekomabhöraffäre („klaffende Gesetzeslücken“, „die Menschenwürde in Gefahr“) sorgt bei mir für weitere innere Spannungen.

Etwas genervt mache ich mich mit meinen beiden Koffern (die Hinzunahme eines zweiten, kleineren Koffers war notwendig geworden, um meine Tokioter Nutellavorräte aufzustocken) auf den Weg zur U-Bahn. Angesichts neu aufgetretener Zukunftsängste beschließe ich, das Geld für das Taxi zu sparen – genügend Zeit habe ich ja, und von der Frankfurter Hauptwache fahren die S-Bahnen zum Flughafen ja bekanntlich alle zwanzig Minuten.

Als die S-Bahn dann 25 Minuten nach der geplanten Abfahrt immer noch nicht an der Hauptwache eingetroffen ist, fangen die sprichwörtlichen Eierkohlen unter mir an zu glühen. Seltsamerweise erfolgt keinerlei Durchsage, die Schaltzentrale in der Mitte des Bahnsteigs ist seit Jahren unbesetzt und verwüstet. Verzweifelt wende ich mich an einen schwarzen Scheriff, der den Zugführer der nächsten S-Bahn zu Herunterkurbeln seiner Scheibe bewegt: Ja, er hätte im Rückspiegel eine Flughafen-S-Bahn gesehen, es könne sich nur noch um Minuten handeln.

Als die Bahn dann mit 30 Minuten Verspätung eintrudelt, hat sich erheblicher Nachholbedarf angestaut. Blöderweise ist dann auch noch gerade der Waggon, vor dem ich stehe, wegen Vandalismus gesperrt. Ich hechte also mit meinen beiden Koffern zum nächsten, der dann wirklich gut besetzt ist; aus Tokio bin ich ja Gedränge gewöhnt! Allerdings ist das Publikum sehr gemischt, und ein Großteil der Fahrgäste sieht aus, als trage er sich mit ernsthaften Gedanken, diesen Waggon auch noch dem Vandalismus anheimzugeben.

Als ich dann mit erheblicher Verspätung in den freundlichen Hallen des Flughafen-S-Bahnhofes ankomme, ist meine Freude ob der gesparten 30 Taxi-Euro komplett verflogen und ich befinde mich in Panikstufe 1: Nach meinen Düsseldorfer Gesprächen habe ich davon auszugehen, daß ich am Morgen nach meiner Ankunft eine wichtige Mitteilung in der Tokioter Zweigstelle zu verlesen habe; ich darf also meinen Flug auf keinen Fall verpassen!

Der Business-Class Check-In der Lufthansa war vor fünf Monaten noch ganz am Ende der Halle A; als ich dort ankomme stelle ich fest, daß dort nun nur die erste Klasse Passagiere einchecken dürfen. Ich schleppe meine Sachen also wieder den halben Weg zurück; dummerweise hat sich aber beim Business Class Schalter eine lange Schlange gebildet. Die zur Koordination der Schlange abgestellte Dame ist jedoch sehr hilfsbereit:
- Haben Sie eine goldene Senatorkarte? Dann können Sie auch bei der ersten Klasse einchecken!

Ich hechte also die 100 Meter zurück zum 1. Klasse Check-In: Drei freie Schalter, jeder mit einer roten Rose bestückt und einer aufgeräumten Lufthansin dahinter! Erleichtert wuchte ich den ersten Koffer aufs Gepäckband und zücke meine Karte. Daß sich diese dann als silberne Frequent-Flyer-Karte (≠goldene Senatorkarte) entpuppt, wäre mir jetzt gar nicht aufgefallen; Lufthansinnen können aber auch streng sein, und die meine schien überhaupt nicht in Verhandlungslaune: Ich hätte doch theoretisch noch genug Zeit! Unter Verzicht auf größere Diskussionen – die sicher damit geendet hätten, dass ich Ihr geraten hätte, sich ihre rote Rose doch sonstwohin zu stecken – rase ich zurück zur Business Class und stelle mich ans Ende der noch weiter gewachsenen Schlange.

Warum geht’s nicht weiter? Nun, der gesamte Gepäckaufgabebereich ist von einer russischen Großfamilie blockiert, die eben ein Kaufhaus auf der Zeil leergekauft hat und nun damit beschäftigt ist, ihre Riesenkoffer umzupacken und alles als Handgepäck zu deklarieren. Da ist kein Durchkommen. Aber links von Ihnen erspähe ich drei weitere Lusttransen an drei freien Schaltern, die sich gerade gelangweilt die frisch gemachten Nägel trocknen. Unerschrocken mache ich die Obertranse auf diesen Leerlauf aufmerksam. Jetzt ist es ihr aber doch peinlich. Ganz schnell hebt sie den Sicherheitsbandverschluß an der Seite aus dem 3-Wege-Einhängesystems und läßt den Gurt mit integrierter Rotationsbremse in den Standpfosten des Personenleitsystems schnalzen, um mir und meinen Nutellakoffern den direkten Weg zu den drei nonchalanten Mädels freizumachen.
- Guten Tag Herr K.! Dürfen wir Sie in die erste Klasse upgraden? Das kostet Sie nur 65.000 Meilen!
- !!! Und zwar !!!

Ankunft in Tokio Narita. Schon die Fahrgastbrücke ist mit rotem Teppich ausgelegt. Die höflichen Umgangsformen der Japaner sind eine Wohltat.

24 Stunden später die E-Mail Nachricht auf dem BlackBerry mitten in der Nacht: Mein Arbeitgeber hat beschlossen, das Bankgeschäft und das Wertpapiergeschäft in Tokio komplett einzustellen.

12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Klaus,

Alles durchgelesen, aber meinetwegen schreibst du schon gehobenes Deutsch. Hast du daheim wohl a Bissle Kulturschock erlitten? Vielleicht später kannst du mir etliche neue Wörter und Ausdrücke erklären. Anscheinend bist du nach dem Fuji-San-bestiegen nach Deutschland zweimals hin und zurück geflogen.

Bis später,

Dein David.

Nikolas hat gesagt…

Also den Brief bezüglich Komplettabriss und Neuaufbau durch eine japanische Firma würde ich auch nur zu gerne sehen. Da bekäme die Fraport sicherlich auch große Augen, sind sie ja an sich von ihren Flughafenmanagementqualitäten extrem überzeugt.

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